Liebe Gemeinde,
„Die letzte Reise“ – so hat ein Freund von uns ein Projekt beschrieben, das er seit einigen Jahren mit Konfirmanden eines westfälischen Dorfes in der Woche vor dem Ewigkeitssonntag durchführt. Es beginnt damit, dass sich die Gruppe im Gemeindehaus auf die letzte Reise vorbereitet. Zunächst geht es um das Reiseziel. Er fragt sie:

Wie stellt ihr euch das vor? Was erwartet ihr nach dem Tod?

Darüber wird nicht geredet. Die Heranwachsenden bekommen Zeit, ihre Bilder vom Jenseits zu malen. Alles verläuft ganz still. Und dann geht’s an das Packen des Reisegepäcks. Was würdet ihr mitnehmen wollen auf eure letzte Reise, wenn ihr es könntet?, ist die Frage. Das sollen sie aufschreiben. Beides – die Bilder vom Jenseits und das, was sie mitnehmen möchten – wird in einen leeren Rucksack gepackt.

Überlegen Sie für sich:

Was wäre bei Ihnen drin? Welche Bilder vom Leben nach dem Tod tragen Sie in sich? Und – was würden Sie gern mitnehmen auf Ihre letzte Reise?

Mit den Rucksäcken auf den Rücken gehen die Jugendlichen zur alten Dorfkirche. Der Eingang ist verhüllt. Aus Stoffen, die kein Licht durchlassen, ist ein Tunnelgang bis zum Altarraum gebaut. Doch sie dürfen nicht gemeinsam reingehen. Sie warten davor. Einer nach dem anderen kniet nieder. „Du machst dich jetzt auf deine letzte Reise“, sagt der Pfarrer zu ihm. Dann krabbelt der Jugendliche allein auf allen Vieren durch den völlig dunklen Gang. Am Ende wird ein Vorhang geöffnet und er wird in den mit Kerzen erleuchteten Altarraum von einem Mitarbeiter in Empfang genommen.

Der befreundete Pfarrer erzählte, dass das bisher immer ganz ruhig ablief. Kein Kichern, kein Rumalbern. Die Handys bleiben ausgestellt. Die sonst eher unruhigen Teenager sind ganz gesammelt, ganz bei der Sache.
Wenn dann alle im Altarraum angekommen sind, sitzen sie wieder im Kreis. Die Rucksäcke werden ausgepackt. Dann betrachten sie gegenseitig ihre Bilder und bringen diese mit biblischen Worten in Verbindung.

Welche Bilder tragen wir in uns?

Liebe Gemeinde,
was würde das wohl bei uns für eine Ausstellung ergeben. Welche Bilder vom Ziel unserer letzten Reise tragen wir in uns? Wenn ich gefragt werde, wie wird das sein – bin ich mit meinen Aussagen immer sehr vorsichtig. Auch die biblischen Aussagen dazu sind vorsichtig.

Als in der jungen Gemeinde in Thessaloniki die Frage aufkam: Wie wird das sein?, antwortete der Apostel Paulus zunächst ohne irgendwelche Bilder. Es war zur Verunsicherung in Thessaloniki gekommen. Man erwartete, dass Christus noch zu Lebzeiten wiederkommen wird, aber nun waren die ersten in der Gemeinde verstorben. Was wird denn nun mit denen passieren. Sind die verloren? Und da antwortet Paulus:

Wir glauben doch, dass Jesus gestorben und auferstanden ist. Ebenso gewiss wird Gott auch die Verstorbenen durch Jesus und mit ihm zusammen zum ewigen Leben führen.

(1.Thess 4,14 4 GNB)

Paulus kommt da noch ganz ohne Bilder aus. Ihm reicht zu sagen. Wir, die wir hier im Leben mit Christus leben und zu ihm gehören, werden auch dann mit Christus sein. Der Tod kann uns nicht trennen.

Als unser Freund uns erzählte, wie die Jugendlichen am Eingang des Tunnels auf die Knie gingen, um jeder für sich allein in die Dunkelheit zu kriechen, lief mir persönlich ein Schauer über den Rücken.
Denn diese Zeichenhandlung deutet an, wie es uns mit dem Tod geht. Wenn wir jemanden im Sterben begleiten, können wir es nur bis zu einem bestimmten Punkt tun. Wir können begleiten, in dem wir etwas erzählen, singen, beten… Und dann kommt der Punkt, an dem wir loslassen müssen. Und auch wenn wir an unser eigenes Sterben denken, heißt es loslassen. Einfach ist das nicht. Der Weg vor uns ist dunkel und ich weiß nicht was kommt. Und das macht Angst.

Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.

Römer 14,8

Den Satz zitiere ich auf jeder Beerdigung. Es ist meine Hoffnung, dass, wenn ich meine letzte Reise antreten muss und alle Verbindungen zum Leben abgebrochen werden, die Verbindung zu Christus bestehen bleibt. Christus ist bei mir und ich bei ihm im Leben und im Tod. Welch ein Trost!

Und trotzdem braucht meine Seele ein paar Bilder für das Ziel der Reise. In einem späteren Brief des Paulus, im 2. Korintherbrief Kap. 5 sind es drei Bilder, mit denen Paulus unser Ziel der letzten Reise beschreibt. Er spricht vom Haus, vom Bekleidetwerden und vom Richterstuhl. Diesen drei Bildern will ich mal nachgehen.

Als erstes ein Haus, von Gott gebaut, erwartet uns. Paulus schreibt:

Wenn unser irdisches Haus, diese Hütte, abgebrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel.

Es wird hier ein ganz tiefes Bedürfnis angesprochen, ja nicht unbehaust zu sein. Neben Essen, Trinken und Kleidung ist es ein elementares Bedürfnis ein Dach über dem Kopf zu haben. Ich habe einmal in Jugendjahren wegen Geldknappheit auf einer Reise in Ungarn unter freiem Himmel übernachtet. Das würde ich nicht noch einmal freiwillig machen. Ich habe mich so ungeschützt, so bedroht gefühlt. Wenn ich da an die vielen unbehausten Flüchtlinge weltweit denke…

Nun wenn Paulus hier von Hütten spricht, dann trifft das unsere Verhältnisse hier in Deutschland kaum. Was tun wir nicht alles für unsere irdischen Häuser und Wohnungen. Was stecken wir da nicht alles rein an Zeit und Geld und Energie. Und wir erleben es hier unter uns, wie schwer es fällt, das eigene Zuhause loszulassen.
Ja, überhaupt wir haben uns gut eingerichtet in der Hütte unseres Lebens auf Erden. Aber eines Tages werden wir unser Haus, unsere Wohnung, ja unseren Körper verlassen müssen. Da geht das eine Bild nämlich in ein anderes über. Die irdische Hütte steht nicht für unsere Behausungen, sondern auch für den Körper, der auch bei noch so guter Pflege im Laufe des Lebens seine Risse und Beschädigungen bekommt. Der uns Schmerzen bereitet und irgendwann auch mal unerträglich werden kann.

Denn darum seufzen wir auch und sehnen uns danach, dass wir mit unserer Behausung, die vom Himmel ist, überkleidet werden, weil wir dann bekleidet und nicht nackt befunden werden.

2.Korinther 5,2f

Paulus spricht davon, dass wir im Tod nicht entkleidet, sondern von Gott überkleidet werden. Ein weiteres Grundbedürfnis wird angesprochen. Der Tod ist gefürchtet als derjenige, der uns alles raubt. Paulus setzt dagegen, dass Gott für uns sorgt. Wir stehen nicht nackt und entblößt vor Gott, wir müssen uns nicht schämen, sondern Gott selbst hüllt uns ein mit neuen Kleidern.
Manche von Ihnen erinnern sich vielleicht, wie ich bei der Taufe von Melani und Ibrahim von dem Symbol des Taufkleides gesprochen habe. Es zeigt uns, wie wir durch die Taufe das neue Kleid als Christin, als Christ anziehen. Wir zeigen damit, wir gehören zu Christus. Wir ziehen Christus selbst an. Und hier an dieser Stelle, wenn wir unser irdisches Leben hinter uns lassen müssen, wird uns ein neues Kleid in Aussicht gestellt.
Wir werden nicht nackt sein, sondern geborgen.
Wir werden nicht obdachlos sein, sondern ein ewiges Zuhause haben.

Aber dann ist da noch das dritte Bild.
Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi.
Das klingt nicht mehr nach Geborgenheit. Jetzt wird es wohl unbequem.

Ich war versucht, dieses Bild in der heutigen Predigt zu übergehen. Das Bild des Gerichtes, das mit dem Ende des Lebens verbunden ist, hat in Vergangenheit viel Unheil angerichtet. Damit wurden Ängste geschürt. Es wurde als Erziehungsmittel benutzt. Für mich steht das Bild vom Richterstuhl nicht für einen Ort der Abrechnung. Allerdings ist es ein Ort der Verantwortung. Gott nimmt uns als Menschen so ernst, dass wir einmal für das, was wir getan oder unterlassen haben, Verantwortung übernehmen müssen. Ja Gott misst unserem irdischen Leben eine hohe Bedeutung bei und gibt uns darin auch viel Freiheit, dass es ihm nicht egal, wie wir unser Leben gestalten. Wir werden danach gefragt werden. Aber wir dürfen damit rechnen, dass von dem, der auf dem Richterstuhl sitzt, von Christus selbst Gnade und Liebe ausgeht.

Auf den Bildern der Jugendlichen war übrigens kein Richterstuhl abgebildet. Häuser gab es und viel Licht auf ihren Bildern vom Jenseits. Und manche hatten ein großes Herz gemalt.

Tief in ihrem Innern gibt es das Vertrauen, dass uns auf unserer letzten Reise

„weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges … uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.

Römer 8, 38f.

Amen