Liebe Gemeinde,
auf der Einladung zur letzten Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirche in Kassel stand, dass wir uns alle zu dem Thema „Ich glaube an die heilige christliche/ katholische Kirche.“ vorbereiten sollten. Darüber wollten wir zu Beginn der Sitzung miteinander ins Gespräch kommen. Innerlich habe ich etwas gestöhnt. Was soll denn das für ein Gespräch werden? Was soll da rauskommen?, habe ich mich gefragt. Schon der Schrägstrich im Titel machte deutlich, wie uneins wir uns im Verständnis von Kirche sind. Die einen sagen im Glaubensbekenntnis: Ich glaube an die heilige christliche Kirche.. Die anderen: Ich glaube an die heilige katholische Kirche. – Was meinen wir, wenn wir von der einen Kirche sprechen. Worin sind wir uns einig, und was trennt uns.
Ein Ritt durch 2000 Jahre Kirchengeschichte kann langweilen…
Ich habe schon etliche Gesprächsrunden in dieser Arbeitsgemeinschaft erlebt. Zu der gehören 15-20 Vertreter und Vertreterinnen verschiedener Kirchen und christlicher Gemeinschaften. Es ist uns wichtig, nicht nur organisatorische Fragen zu klären, sondern auch einander näher kennenzulernen und uns eben auch über Glaubensfragen auseinanderzusetzen. Deshalb gibt es immer ein theologisches Thema. Über die Taufe haben wir gesprochen, über das Abendmahls- und über das Amtsverständnis, die Bedeutung der Ehe und eben diesmal über das Kirchenverständnis. Dreimal im Jahr treffen wir uns. Da lernt man sich schon ganz gut kennen. Dann weiß man auch, wenn der eine ältere katholische Priester das Wort ergreift, gibt es erst mal einen Ritt durch 2000 Jahre Kirchengeschichte. Theologische Fachbegriffe reihen sich aneinander. Er findet kein Ende. Ich werde ungeduldig. Meine Gedanken gehen inzwischen spazieren – das kennen Sie vom Predigthören sicherlich auch – es fällt mir schwer zuzuhören.
Die Gesprächsleiterin hat Mühe ihn zu zügeln, denn es gibt noch viele weitere Wortmeldungen. Einige Vertreter sprechen weniger theoretisch zum Thema, sondern davon, wie sie Kirche erfahren. Die Frage ist: wer gehört dazu, wer nicht. Andere zitieren aus Bekenntnisschriften. Ich krame ein Wesleyzitat hervor. Will schließlich zeigen, dass ich mich auch vorbereitet habe. Ich finde Wesley mit seiner ökumenischen Gesinnung hilfreich. Er sagte zum Beispiel: „Ich glaube nicht, dass die Kirche von England oder die sogenannten Methodisten oder irgendeine andere bestimmte Gemeinschaft unter dem Himmel „die wahre Kirche Christi“ ist. Denn die gibt es nur einmal, und zu ihr gehören alle wahrhaft Glaubenden auf der ganzen Erde. Für mich ist jede Gemeinschaft ein Zweig der einen wahren Kirche Christi.“ (aus Wesleybrevier S.170)
Die wahrhaft Glaubenden
„Aber wer sind denn nun die wahrhaft Glaubenden“, wendet einer aus der Runde ein. Die Diskussion geht engagiert weiter, zu einem Ergebnis kommen wir nicht. Ich bewundere die Dekanin. Sie leitet das Gespräch, bleibt dabei sehr geduldig und freundlich und wertschätzend. Sie hat wirklich ein sehr weites Herz. Man spürt ihr ab, ihr liegt sehr viel daran, dass wir Christen verschiedener Konfessionen uns auf Augenhöhe begegnen und dass wir in wichtigen gesellschaftlichen Fragen als Christen an einem gemeinsamen Strang ziehen. Aber fast jedes Mal beendet sie die Diskussionen mit dem Satz: Ich setze hier mal einen Strichpunkt. Das bedeutet: Es gäbe noch so viel zu sagen. Und einig werden wir uns wohl nie.
Bemüht euch darum, die Einheit des Geistes zu wahren durch das Band des Friedens. Ein Leib und ein Geist ist es doch, weil ihr ja auch berufen wurdet zu einer Hoffnung… Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott…
Die Worte aus dem Epheserbrief proklamiert eine Einheit, die der heutigen Wirklichkeit nicht entspricht. Nun, der Text ist geschrieben bevor sich die christliche Gemeinschaft in viele Konfessionsgruppen spaltete. Lange vor der Spaltung (dem sog. Schisma) zwischen der Ost-und Westkirche im 11. Jahrhundert. Lange bevor die Protestanten sich von der römisch-katholischen Kirche lossagten. Und sich dann in Folge die reformatorischen Kirchen immer mehr verzweigten, so dass heute kaum noch einer durchblickt, wie viele Kirchen und Gemeinschaften es gibt.
Damals zur Zeit des Epheserbriefes mag es doch noch diesen einen Leib spürbar gegeben haben. Aber trotzdem war diese Einheit auch nicht selbstverständlich. Sonst wäre es doch nicht nötig, die Gemeinde zu beschwören: Bewahrt die Einheit. Ihr seid doch eins. Siebenmal das Wort „ein“.
Man kann den Hintergrund nur vermuten. Womöglich waren in Ephesus und anderen Gemeinden in Asien frühere Gegensätze zwischen Juden- und Heidenchristen wieder aufgeflammt. Vielleicht hatten die sie umgebenden heidnischen Religionen im Alltag wieder stärkeren Einfluss auf die Christen gewonnen. Vielleicht gab es schlichtweg zwischenmenschliche Querelen in der Gemeinde – um Ämter und Macht, wer mit seiner Meinung Recht hat, welchem Engagement, welcher Frömmigkeitsprägung, welcher Gruppe in der Gemeinde mehr Gewicht zukommt… Man kennt das.
Und ich denke, man kann diese Worte darum auch runterbrechen für Gemeindewirklichkeit heute. Es geht also nicht nur um Ökumene. Sondern auch in den Gemeinden ist die Einheit nichts Selbstverständliches. Das wissen Sie alle aus der Gemeindegeschichte hier vor Ort, in anderen Gemeinden an anderen Orten ist es ähnlich. Die Einheit – so lesen wir hier – ist uns zwar im Geist geschenkt ist, doch muss sie bewahrt werden. Das ist eine immer währende gar nicht so einfache Aufgabe.
Es bedarf einer ganz bestimmten Lebenshaltung
Einer Haltung, die aus einem dreifachen Mut erwächst: Führt euer Leben in Demut, Sanftmut und Langmut, sagt der Schreiber des Epheserbriefes. In der Vorbereitung kreisten meine Gedanken immer wieder um diese drei Begriffe: was heißt das konkret ein Leben in Demut, Sanftmut und Langmut zu führen. Gehen wir dem mal nach!
Als erstes Demut
Das ist so ein richtig kirchlicher Begriff. Noch vor Jahren hätten sich bei mir die Nackenhaare gesträubt. Lange Zeit wurde der Begriff falsch verstanden. Da galt als Demut, wenn jemand sich selbst klein machte. Wenn er oder sie (meistens sie!) alles andere und alle anderen wichtiger nahm als sich selbst. Wenn man sich verausgabte bis zum Letzten in einem wahrhaft selbstlosen Dienst. Immer den „unteren Weg gehen“. Sie kennen diese Redeweise bestimmt. Es galt als verpönt, wenn jemand in der Gemeinde gelobt wurde und erst recht, wenn jemand stolz auf etwas war, das er geleistet hatte. Das war nicht demütig genug. Aber so ist Demut nicht gemeint.
In einem Spiegelonline-Interview wurde Wolfgang Thierse gefragt: Was heißt es denn, demütig zu sein? Seine Antwort war: „Demut ist das Bewusstsein von der Erbarmungswürdigkeit des Menschen. Das Bewusstsein, dass man Fehler und Irrtümer begeht und darauf angewiesen ist, dass einem andere verzeihen und vergeben und man selbst dazu bereit ist. Eine tiefere Einsicht in die Fehlbarkeit der eigenen Person. Und das Gefühl der Dankbarkeit für das, was gelingt.“
Demut als eine tiefere Einsicht in die Fehlbarkeit der eigenen Person. Das heißt, ich weiß um meine Begabungen und bringe diese in die Gemeinschaft ein. Ich bin dankbar für alles, was gelingt. Aber da gibt es eben auch Grenzen bei mir, bei anderen, für uns Menschen überhaupt. Nicht alles ist machbar. Und ich mache eben auch Fehler, ich irre mich und ich bin darauf angewiesen, dass die anderen mir vergeben.
In einer Fortbildung fiel mal der Satz: Die Gemeinden müssten fehlerfreundlicher werden, damit Menschen sich trauen sich einzubringen mit ihren Begabungen aber auch mit ihren Begrenzungen. Ich möchte diesen Satz noch ergänzen: die Gemeinden und die einzelnen müssten vergebungsfreundlicher werden. Ich erschrecke immer wieder in Gesprächen, wenn ich mitbekomme, dass Menschen über die Fehler, die andere in der Vergangenheit gemacht haben, nicht hinwegkommen. Wie konnten die nur? Da lebt eine Generation von Glaubensgeschwistern schon nicht mehr, aber man bleibt da hängen, bleibt unversöhnlich – weit weg von einer Einheit im Geist.
Demut als der Mut, fehlerfreundlich und vergebungsbereit mit sich selbst und miteinander umzugehen. Zu wissen, wir sind alle begrenzte Wesen. Wir sind alle auf Vergebung angewiesen.
Dazu Sanftmut
Eng verwandt mit der Demut ist die Sanftmut, die zweite Form des Mutes. Wir dürfen die Sanftmut nicht mit Schwäche verwechseln oder meinen, wir müssten uns als Christen ein Dauerlächeln auf unsere Gesichter setzen. Sanftmut ist der Mut zur Freundlichkeit und Güte.
„Sanftmut“, so sagt der Philosoph Bollnow „Steht im Gegensatz zur Gewaltsamkeit,… Sanft ist der Mensch, wenn er sich nicht vom Zorn hinreißen lässt, ohne vermeidbare Härte im Affekt, weich und behutsam. …Diese Behutsamkeit ist eine Art von Vorsicht, die keinen Schaden an den andern Menschen herankommen lassen will.“(Bollnow, Die Tugend der Geduld, zit. nach Wikipedia)
Auch wenn Sie mich so nicht kennen, glauben Sie mir, ich kann ganz schön aufbrausen. Es gibt Situationen, da geht mir jegliche Sanftmut ab. Dann kann ich richtig poltern. Aber ich weiß auch, wie zerstörerisch diese Reaktionen im Affekt sind. Da wünsche ich mir im Nachhinein, wenn ich dann vor einem Scherbenhaufen stehe und mich ganz zerrissen fühle: Wärst du doch behutsamer gewesen. Hättest du dein Anliegen nicht vorsichtiger vorbringen können. Hättest du Mut zu Güte und Freundlichkeit gehabt.
Jesus sagt in der Bergpredigt: Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. Andere Übersetzungen schreiben: Selig, die Gewaltlosen: Vor der großen Demonstration am 9.Oktober in Leipzig vor 25 Jahren wurden diese Worte in den Friedensgebeten gelesen, wie in jedem Montag zuvor. Und ohne diesen Mut zur Gewaltlosigkeit, dieser Sanftmut, auf Seiten der Demonstranten wäre alles sicher anders ausgegangen.
Der dritte Mut: Langmut
Die Langmut – ein altertümliches Wort für Geduld. Ohne Geduld geht es nicht im Miteinander. Sie ist der Mut zum langen Atem, wenn es mit der Demut und Sanftmut nicht so recht klappen will. Die Langmut macht unsere Herzen weit, dass auch Menschen ihren Platz darin finden, mit deren Begrenzungen wir Mühe haben, die schwierig sind, die anders sind, die wir uns nicht als Freunde selbst ausgesucht hätten. Aber in Gemeinden kommt ja so ein buntes Gemisch von Menschen zusammen, eben die, die Gott berufen hat, nicht die, die wir uns ausgewählt haben. Ohne Geduld miteinander geht das nicht.
Liebe Gemeinde, die Dekanin, von der ich ihnen anfangs erzählte, die hat viel von diesem Langmut. Sie hat ein großes Herz. Geduldig lässt sie bei den Ökumene-Sitzungen alle zu Wort kommen, sie geht sanft mit der Schwäche des Älteren um, sich nicht kurzfassen zu können. Und wer sich so einsetzt für das ökumenische Miteinander, kann das nur demütig tun. In einer Haltung, die davon ausgeht, die anderen Gemeinden und Kirchen versuchen auf die je ihre Weise den einen Glauben zu leben, der uns gegeben ist durch den einen Herrn, der uns alle berufen hat, Teil des einen Leibes zu sein. Amen