„Du bist der Strickpulli für meine Seele. “

„Ihr seid die Rentiere, die den Schlitten am Laufen halten. “

„Ihr seid der Zuckerguss auf meinen Plätzchen. “

(Der andere Advent 8.12.21)

Liebe Gemeinde, sind das nicht wunderschöne Komplimente?

Sie standen in meinem Adventskalender diese Woche. Die Stadt Lübeck hatte dazu angeregt, über mehrere Wochen einander außergewöhnliche Komplimente zu machen. Und das ist dabei rausgekommen. Aber hat es etwas mit Advent zu tun, einander mit schönen Komplimenten zu loben?

Ich behaupte mal: Ja. Und ich hoffe, ihr könnt am Ende der Predigt dem zustimmen.

Bereitet dem Herrn den Weg, denn siehe: er kommt gewaltig! Wir haben den heutigen Gottesdienst mit dieser Aufforderung begonnen. Adventszeit ist Vorbereitungszeit auf den Weg auf Weihnachten zu. Aber wie gelingt es uns? Wie gelingt uns das in diesem Jahr, uns auf das Kommen Gottes in unsere Welt vorzubereiten? Bei dem Text, der uns für heute vorgeschlagen ist, geht es um die innerliche Wegvorbereitung. Der Apostel Paulus wird in dem zunächst wenig adventlich anmutenden Abschnitt seines Briefes an die Gemeinde in Korinth sehr konkret mit seinen Ratschlägen für eine innere Wegvorbereitung.

Predigttext 1. Korinther 4,1-5 (Basisbibel) 1 Dafür soll man uns halten: für Diener von Christus und Verwalter von Gottes Geheimnissen. 2 Nun verlangt man ja von Verwaltern, dass sie zuverlässig sind. 3 Aber mir ist es völlig gleichgültig, ob ihr oder ein menschliches Gericht mich beurteilt. Ja, ich beurteile mich nicht einmal selbst. 4 Ich bin mir zwar keiner Schuld bewusst. Aber deswegen gelte ich noch nicht als gerecht. Nur der Herr kann über mich urteilen. 5 Urteilt also nicht schon jetzt. Wartet, bis der Herr kommt! Er wird alles ans Licht bringen, was im Dunkeln verborgen liegt, und die geheimsten Absichten enthüllen. Dann wird jeder von Gott gelobt werden, wie er es verdient.

Zusammengefasst lautet Paulus Ratschlag zur inneren Wegvorbereitung: Hört auf mit dem Beurteilen anderer und verurteilt auch euch selbst nicht! Denn ihr seid nicht der Richter, der ein Urteil sprechen darf. Der Richter ist ein anderer. Und wenn der Herr kommt, wird alles in einem neuen Licht erscheinen. Was für die menschliche Fremd- und Selbstwahrnehmung heute noch im Dunkeln liegt, wird Christus ans Licht bringen.

So wie Paulus hier vom Gericht Gottes schreibt, hat der Gedanke daran für ihn was ungeheuer Befreiendes und Entlastendes. Sich auf Gott als den Richter zu berufen, macht ihn innerlich unabhängig von den Beurteilungen anderer.

Und das ist ja der äußere Anlass, warum Paulus so schreibt. Er wird massiv beurteilt von den Korinthern. Sie vergleichen ihn mit anderen Mitarbeitenden und ihr Urteil über Paulus Arbeit scheint nicht gut auszufallen. Und wahrscheinlich leidet Paulus darunter, wie wir alle leiden, wenn andere uns schlecht beurteilen. Oft genügt schon eine kritische Bemerkung und schon sind wir zutiefst verunsichert. Aber Paulus wehrt sich dagegen: Urteilt also nicht schon jetzt. Ja, ich beurteile mich nicht einmal selbst. Wartet, bis der Herr kommt!

Liebe Gemeinde, leider ist unser menschliches Miteinander sehr geprägt vom Vergleichen und einander Beurteilen. Ja, wir Menschen sind einander Richter und Richterin. Wir können oft nicht anders – aber wir wissen auch- es tut uns nicht gut. Und über uns selbst sitzen wir meist am strengsten zu Gericht.

Friedrich Wilhelm Marquardt, ein Theologe unserer Zeit, sieht im menschlichen Urteilen gar eine Grundverfasstheit sozialen Lebens und bescheinigt Paulus in dieser Hinsicht treffliche Menschenkenntnis. Er sagt: „Menschliche Gerichtstage sind solche, an denen wir uns untereinander richten, anklagen, verteidigen, beurteilen, verurteilen – also das, was wir immerzu tun und was eine Grundstruktur unseres sozialen Lebens ist. Ob wir das nun aussprechen oder für uns selbst behalten – alltäglich verhalten wir uns zueinander in beständigem Urteilen übereinander, moralisch, politisch, nach verinnerlichten Klassen – und Erziehungsnormen, nach psychischen Reglements: Vor allem auch aus dem Unbewußten; insofern sind unsere sozialen Beziehungen ständig Urteilsbeziehungen, ist soziales Leben … ein unaufhörlich gespannter, nur selten: entspannter Gerichts-Tag. Paulus hat das gesehen.“ (GPM 64/1 S. 18f)

Paulus ruft nun: Stopp! Er legt die Bremse ein. Er sagt: Wartet damit, bis der Herr kommt.

Brems dich in deinem Urteil! Liebe Gemeinde, ist das nicht ein guter Ratschlag, um uns in dieser gerade in unserem Miteinander so sehr angespannten Adventszeit innerlich auf Weihnachten vorzubereiten?

Wenn jemand deine Erwartung nicht erfüllt: Brems dich mit deinem Urteil! Lass die abschätzige Bemerkung, die dir schon auf der Zunge liegt!

Wenn jemand eine Entscheidung trifft, die du so gar nicht nachvollziehen kannst: Brems dich in deinem Urteil!

Und wenn du am Abend auf deinen vielleicht schwierigen Tag zurückschaust und du versucht bist, dir lauter Fünfen oder Sechsen zu erteilen für das, was du geleistet oder eben nicht geleistet hast, auch dann brems dich. Und halte vor allem nach dem Ausschau, was lobens- und dankenswert war an diesem Tag. Irgendwas wird lobenswert gewesen sein und wenn es einfach nur das ist, dass du dir sagst: Gut, dass ich diesen schwierigen Tag heute geschafft habe und ihn nun hinter mir lassen kann.

Davon – von dem Lobenswertem, liebe Gemeinde, schreibt nämlich Paulus auch in diesem Briefabschnitt. Ich weiß nicht, ob ihr das beim ersten Lesen mitbekommen habt. Wenn Gott kommt, davon ist Paulus überzeugt, dann wird jeder von Gott gelobt werden, wie er es verdient.

Ich finde das ziemlich überraschend, wie Paulus hier vom Jüngsten Gericht spricht. Es geht also im Gericht Gottes nicht um Bloßstellen und Kleinmachen, nicht um Ab- und Verurteilen, sondern Paulus ist überzeugt, wenn der Herr kommt, dann wird Gott in eines jeden Menschen etwas Lobenswertes finden. –

„Gott will im Dunkel wohnen, und hat es doch erhellt. Als wollte er belohnen, so richtet er die Welt.“ So singen wir es im Adventslied von Jochen Klepper.

Ihr Lieben, wenn das Gottes Perspektive auf uns ist, wenn Gott uns einst als lobenswert finden wird, sollten wir einander und uns selbst nicht auch schon jetzt so ansehen? Als lobenswerte, geliebte Kinder Gottes.

Auch heute wieder zum Schluss ein Ausschnitt aus einer meiner liebsten Adventsgeschichten. Rachel Naomi Remen erinnert sich an ihren Großvater:

„… Wenn Großvater damit fertig war, mit Gott zu sprechen, dann wandte er sich mir zu und sagte: „Komm her, Neshumele. “ Ich baute mich dann vor ihm auf und er legte mir sanft die Hände auf den Scheitel. Dann begann er stets, Gott dafür zu danken, dass es mich gab und dass Er ihn zum Großvater gemacht hatte. Er sprach dann immer irgendwelche Dinge an, mit denen ich mich im Verlauf der Woche herumgeschlagen hatte, und erzählte Gott etwas Echtes über mich. Jede Woche wartete ich bereits darauf zu erfahren, was es diesmal sein würde. Wenn ich während der Woche irgendetwas angestellt hatte, dann lobte er meine Ehrlichkeit, darüber die Wahrheit gesagt zu haben. Wenn mir etwas misslungen war, dann brachte er seine Anerkennung dafür zum Ausdruck, wie sehr ich mich bemüht hatte. Wenn ich auch nur kurze Zeit ohne das Licht meiner Nachttischlampe geschlafen hatte, dann pries er meine Tapferkeit, im Dunkeln zu schlafen. Und dann gab er mir seinen Segen und bat die Frauen aus ferner Vergangenheit, die ich aus seinen Geschichten kannte – Sara, Rahel, Rebekka und Lea -, auf mich aufzupassen. Diese kurzen Momente waren in meiner ganzen Woche die einzige Zeit, in der ich mich völlig sicher und in Frieden fühlte. In meiner Familie von Ärzten und Krankenschwestern rang man unablässig darum, noch mehr zu lernen und noch mehr zu sein. Da gab es offenbar immer noch etwas mehr, das man wissen musste. Es war nie genug. Wenn ich nach einer Klassenarbeit mit einem Ergebnis von 98 von 100 Punkten nach Hause kam, dann fragte mein Vater: „Und was ist mit den restlichen zwei Punkten?“ Während meiner gesamten Kindheit rannte ich unablässig diesen zwei Punkten hinterher. Aber mein Großvater scherte sich nicht um solche Dinge. Für ihn war mein Dasein allein schon genug. Und wenn ich bei ihm war, dann wusste ich irgendwie mit absoluter Sicherheit, dass er Recht hatte.       (Rachel Naomi Remen, Der Segen meines Großvaters, in: Freude, Schätze

aus 20 Jahren „Der andere Advent“ S.32f)

Sucht nach dem Lobenswertem und sagt es einander und sagt es vor Gott. Ich glaube, das ist eine gute innere Wegbereitung.

Amen

Überlegt für euch/ überlegen Sie sich ein Kompliment, das ihr/Sie jemandem in dieser Adventswoche sagen könntet.

„Du bist der Zuckerguss auf meinen Plätzchen.“ Passt vielleicht nicht unbedingt. Aber vielleicht: „Jedes Gespräch mit dir ist wie inneres Blumenpflücken.“ „Dich schickt der Himmel.“ So andere Vorschläge aus meinem Adventskalender. Aber Sie finden bzw. ihr findet bestimmt eigene passende Komplimente.

Ein gesegnete Advents-(Vorbereitungs-)Zeit wünscht Ihnen und euch Katharina Lange