Liebe Gemeinde,
„ich muss damit erst mal schwanger gehen.“ –
Das sage ich immer dann, wenn ein Gedanke, eine Sache noch nicht reif sind. Da ist eine Idee in einem, aber es braucht noch Zeit. Die Idee ist noch nicht zu Ende gedacht, noch nicht so ausgereift, dass sie schon umgesetzt werden könnte. „Ich muss damit noch schwanger gehen“, heißt demnach auch, ich muss warten können. Es braucht Geduld.
Früher sprach man von Schwangeren: Sie sind in Erwartung.
Auch wenn meine Schwangerschaften schon eine Weile her sind, kann ich mich noch gut daran erinnern, wie ich gewartet habe und wie viel Geduld mir das abverlangt hat. Und das fiel mir schwer. Ich musste bei beiden Kindern ein paar Wochen liegen, Ruhe bewahren, untätig sein, damit sie genug Zeit hatten zum Reifen und ja nicht zu früh kamen.

In Erwartung – das sind wir im Advent

Wir gehen quasi schwanger mit dem Gedanken von Weihnachten. Und da müssen wir aufpassen, dass wir uns damit auch Zeit lassen. Ich erlebe so viel Ungeduld. Die vielen Weihnachtsfeiern im Advent, Stille Nacht schon am 30. November. Das Gänseessen wird auch vorgezogen. Was soll da noch kommen an Weihnachten?

Was erwarte ich? – so überschreibt die Lyrikerin Gudrun Kropp ihr Gedicht. Sie sagt:
Advent ist Erwartung
Aber was erwarte ich?
Welche Gedanken bewegen mich?
Glaube ich noch
An das, was schon lange,
In meinem Inneren
Verschüttet zu sein scheint?

Habe ich meine Träume
Meine geheime Sehnsucht
Nach Originalität
Nach Entfaltung meines Lebens schon aufgegeben?

Erwarte ich noch
Dass sich etwas Unfassbares
Wunderbares
In meinem Leben ereignet?
Advent – heißt:
In Erwartung
Gerade dieses „Unmöglichen“ zu sein.

Advent – in Erwartung des Unmöglichen zu sein.

Wir haben vorhin einen biblischen Text gehört, der voller Erwartung steckt. Übrigens ist er überhaupt nicht geeignet für eine gemütliche Feier bei Plätzchen und Punsch. Und als Predigende ist man gerade wegen dieser Ungemütlichkeit versucht, diesen für den 2.Advent vorgesehenen Endzeittext aus dem Lukasevangelium zu umgehen. Von Zeichen an Sonne, Mond und Sternen ist da die Rede, die Welt scheint aus den Fugen geraten, den „Völkern wird es bange sein“. Aus einer Situation der Angst und Furcht werden Erwartungen laut. Da ist ein Wüten und Toben in der Welt – dem aber wird Hoffnung entgegengesetzt. Gerade dann dürfen wir erwarten, dass Jesus Christus wiederkommt.

Die frühen Christen erwarteten das ganz nah, bald noch zu ihren Lebzeiten wird das passieren. Es war eine gespannte Erwartung. Ein Warten unter den Spannungen ihrer Zeit voller Krieg und Zerstörung. Nun – das hat sich etwas hingezogen mit der Wiederkunft Christi. Fast 2000 Jahre. Aber immer wieder greifen Menschen auf diese Texte zurück. Seht doch die Zeichen der Zeit – die Kriege, die Zerstörung, die Naturkatastrophen – sind das nicht diese Zeichen, die da gemeint sind. Ich bin damit vorsichtig.
Aber was ich aus diesen Worten herauslese – und das ist für uns heute ungemein wichtig – da sind Menschen, die, trotz der Turbulenzen um sie herum, trotz der Lebensängste, die sie berechtigterweise haben, nicht ohne Hoffnung sind. Sie sind in Erwartung.

Darum seht auf, erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.

Darum lasst auch ihr euern Kopf nicht hängen, vergrabt euch nicht in dem, was euch gerade Angst macht. Und da kann bestimmt jeder und jede von uns was nennen, was ihn oder sie persönlich betrifft. Wo ihre eigene Welt ins Schwanken geraten ist und man sich fragt, wo soll das hinführen. Und wenn man dann auf das Weltgeschehen blickt, dann ist ja gerade in diesem Jahr so Vieles geschehen, das einen bange werden lässt. Ich nenne nur den Ukrainekonflikt, der Nahostkonflikt, die Gewalt, die die IS ausübt, die Flüchtlingsströme, der Rassismus in den USA usw… Die Welt scheint durcheinander, scheint ihr Gleichgewicht verloren zu haben, da kann man schon verzagen.
Und dann diese Aufforderung: Trotzdem – Seht auf, hebt euern Blick – da ist eine Hoffnung von Gott her. Advent ist – in Erwartung des Unmöglichen zu sein. Wie kommen wir dem auf die Spur?

Jesus hilft mit einem Gleichnis. Er sagt:

Seht den Feigenbaum und alle Bäume an: wenn sie jetzt ausschlagen und ihr seht es, so wisst ihr selber, dass jetzt der Sommer nahe ist. So auch ihr: wenn ihr seht, dass dies alles geschieht, so wisst ihr, dass das Reich Gottes nah ist.

Na ja, das passt nun gerade nicht so gut in den Winter, wo die Bäume kahl sind. Gerade jetzt erleben wir die Natur als tot. Die Blätter sind gefallen. Laubwälder empfinde ich zu dieser Jahreszeit als ziemlich trist.
Aber wir wissen: Diese Bäume sind nicht tot. Diese Bäume gehen schwanger. Sie sammeln Kraft, damit sie im Frühjahr wieder ausschlagen können und im Sommer oder Herbst die Früchte reif sind. Scheinbar tot wirken sie, und doch steckt die Möglichkeit neuen Lebens in ihnen.
Am Donnerstag dieser Woche, das war der 4. Dezember, hat jemand aus der Gemeinde diese Zweige von einem Kirschbaum abgeschnitten. Vielleicht kennen einige unter Ihnen die Tradition der Barbarazweige und praktizieren das auch. Zweige von Kirschbäumen oder anderen blühenden Bäumen werden am 4.Dezember geschnitten und ins Warme gestellt. Und dann wartet man und hofft, dass die Zweige an Heiligabend erblühen.

Von der heiligen Barbara wird erzählt, dass sie, weil sie sich gegen den Willen ihres Vaters hat taufen lassen, verhaftet und zum Tode verurteilt wurde. Auf dem Weg zum Gefängnis verfing sich ein trockener Zweig in ihrem Kleid. Barbara stellte den Zweig in ihr Trinkgefäß. Am Tag ihrer Hinrichtung blühte er. Eine Geschichte des Widerspruchs gegen die Endgültigkeit des Todes. Leben, blühendes Leben, trotz Tod. Hoffnung auch dann, wenn der Tod um sich greift wie bei Barbara. Ja, so was glauben und hoffen wir Christen.

Lasst uns, liebe Gemeinde, die Zweige beobachten in dieser Adventszeit. Seht hin, schaut auf und wartet gespannt, ob sie Blüten tragen an Weihnachten. Immer wieder wird diese Metapher von Blühen in unpassender Zeit gebraucht, um die Hoffnung gegen den Augenschein auszudrücken. Man denke an das Weihnachtslied: Es ist ein Ros entsprungen… ein Blümlein …mitten im kalten Winter wohl zu der halben Nacht“.
Und dann gibt es noch das Lied vom Mandelzweig. In meiner Jugend viel gesungen. Vielleicht kennen es einige aus der Gemeinde. Es steht in unserem Gesangbuch. Es beginnt so: „Freunde dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt, ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt?“ In der dritten Strophe heißt es dann: „Tausende zerstampft der Krieg, eine Welt vergeht. Doch den Lebens Blütensieg leicht im Winde weht.“

Diese Zeilen hat der jüdische Theologe Schalom Ben Chorin im Jahr 1942 in Palästina geschrieben. Dorthin, nach Palästina, war er emigriert, weil ihm in Deutschland die Vernichtung seines Lebens drohte.
Und im Schlussvers des Liedes heißt es: Freunde, dass der Mandelzweig sich in Blüten wiegt, bleibe uns ein Fingerzeig, dass das Leben siegt.

Ob nun Feigenbaum, Kirschzweig oder Mandelblüte – lasst uns auf die Zeichen der Hoffnung schauen – sie sollen uns alle Fingerzeig auf den lebendigen Gott sein, dass schließlich – auch wenn es im Moment überhaupt nicht danach aussieht – das Leben siegt.

Advent – heißt: In Erwartung gerade dieses „Unmöglichen“ zu sein.
Amen.