Liebe Gemeinde,

ihr werdet alle das rasante Ansteigen der Infektionen verfolgt haben und als dann im Laufe der Woche dieser erneute „Lockdown Light“ beschlossen wurde, haben wir alle wohl gemeinsam einen großen Seufzer von uns gegeben. „Oh, geht das wieder los!“ So ging mir das jedenfalls. Wir erinnern uns noch alle daran, welche Kraft uns der Lockdown im Frühjahr gekostet hat! Wie der Zufall es will, ist heute ein Text zur Predigt dran, der von der Hoffnung in schwierigen Zeiten spricht. Wie können wir Kurs halten? Wie können wir nach vorne schauen und sagen, trotz alledem gibt es Zukunft. Wir haben mit Schwierigkeiten zu kämpfen, aber wir sind in der Krise nicht allein.

Bild: Congerdesign / pixabayIch habe im Frühjahr eine Andacht zu Jeremia 29 von dem Professor für Altes Testament Jörg Barthel von der Theologischen Hochschule in Reutlingen gelesen, die mich stark beeindruckt hat. Da habe ich gelernt, dass in dem hebräischen Wort für Hoffnung (Tikwa) das Wort für Schnur steckt. Dieses Wort also trägt in sich ein Bild: Hoffnung ist wie eine gespannte Schnur, eine Erwartung, die mich in die Zukunft führen will. Dazu gehört, dass Hoffnung nicht die triste Realität überspringt. Ja, ich freue mich auch schon auf das Frühjahr, wenn es wieder warm wird und das Virus es deutlich schwerer hat. Aber ich weiß auch, die Tage bis dahin wollen gelebt werden.

Wir brauchen jetzt nicht den billigen Trost, dass Covid 19 schon nicht so schlimm sei. Dass es einfach wieder verschwinden wird, wie manche behaupten. Auch Jeremia hat mit falschen Propheten zu tun und die Ähnlichkeiten mit dem, was wir heute erleben, sind frappierend. Er sagt zu den Leuten: »Lasst euch nicht täuschen von den Propheten und Wahrsagern, die unter euch sind. Verlasst euch nicht auf diese Träumer, die das für euch träumen, was ihr euch wünscht!« Das war die Situation vor mehr als 2600 Jahren. Die Babylonier waren zur neuen Supermacht im Orient aufgestiegen und hatten Jerusalem ein erstes Mal angegriffen. Teile der Bevölkerung waren deportiert worden, darunter vor allem Handwerker und die Führungsschicht, einschließlich des Königs.

In der Fremde angekommen stellte sich natürlich die Frage: Wie lange würden sie bleiben müssen? Über diese Frage entstand ein heftiger Streit. Viele sehnten sich zurück in ihre Heimat. Dann traten Leute auf, die erklärten, man würde bald zurückkehren können. Wer wollte das nicht denn nicht?! In dieser aufgeheizten Stimmung schreibt Jeremia einen Brief. Er zeigt darin, dass seine Hoffnung anders ist. Seine Hoffnung spannt eine Schnur in die Zukunft. Hier seine Botschaft in vier Punkten.

Erstens: Gott sagt: Ich werde mich finden lassen.

Ich möchte mit dem anfangen, was Jeremia ganz am Ende dieses Abschnittes als grundsätzliche Zusage gibt. Gott verspricht ihnen: Ihr werdet mich suchen und werdet mich finden. Denn wenn ihr mich von ganzem Herzen sucht, werde ich mich von euch finden lassen.

Das klingt auf den ersten Blick einfach so selbstverständlich, aber genau das ist es nicht. Wo war denn Gott gewesen, als Jerusalem zerstört wurde? Wo war er jetzt, als das Volk im Exil war? Normalerweise galt in der Antike die Regel: War ein Volk von einer anderen Macht geschlagen worden, hatten sich die Götter dieses Volkes als schwächer erwiesen. Eigentlich war der Tempel die Garantie für das Volk Israel gewesen, dass Gott gegenwärtig war. Jetzt war der Tempel zerstört und sie waren in Feindesland, umgeben von anderen mächtigen Göttern. Wo sollte da Gott denn sein? Vor diesem Hintergrund sagt Jeremia ihnen, Gott wird sich finden lassen, auch wenn der Kult im Tempel nicht zur Verfügung steht. Fang an, Gott neu zu denken. Gerade jetzt in der Fremde, in der Krise könnt ihr auf Gott zählen.

Und das, liebe Gemeinde, gilt auch jetzt: Vielleicht sind die Gottesdienste anders als früher, aber wir hoffen auch jetzt auf Gottes Gegenwart. Mein Kollege Frank Wachsmuth von der Landeskirchlichen Gemeinschaft in Rommerode und Hess. Lichtenau, mit dem ich in der Evangelischen Allianz in Großalmerode zusammenarbeite, rief mich die Woche an und sagte: „Einen Auftaktgottesdienst zur Allianzgebetswoche wird es nicht geben können. Was machen wir jetzt?“ Dann schlug er vor: „Lass uns Gebetsrunden in Telefonkonferenzen machen.“ Das sei ungewohnt, aber machbar. Ich war erst verdutzt, aber dann dachte ich, wir haben Gottesdienst im Internet mit gefeiert, ja sogar Abendmahl vor dem Fernseher. Lass uns Gott suchen und bitten mit den Möglichkeiten, die wir haben. Dann beten wir in Telefonkonferenzen. Ich setze damit auf die Zusage Gottes bei Jeremia: Denn wenn ihr mich von ganzem Herzen sucht, werde ich mich von euch finden lassen. Das sage ich, der Herr.

 Als zweitens legte Jeremia seinen Leuten ans Herz, den Alltag zu bestehen. Baut euch Häuser und richtet euch darin ein! Legt euch Gärten an …

Schließt euch nicht ein und geht in die innere Emigration bis alles vorbei sein wird. Lebt euer Leben jetzt weiter, auch wenn es anders sein wird! Diese Aufforderung des Propheten ist religionsgeschichtlich interessant. Ackerbau war in der damaligen Zeit religiös nicht neutral. Die Äcker in Babylon waren dem Stadtgott Marduk geweiht. Für die Israeliten waren sie religiös kontaminiert. Diese Äcker sollten sie nun bestellen – eigentlich undenkbar. Aber es ging in dieser Krise darum, einfach am Leben zu bleiben.

In der Andacht von Jörg Barthel heißt das so: „Macht das Exil zu einem Ort des Lebens. Entdeckt das Außergewöhnliche im Gewöhnlichen, das Wunder im Alltäglichen.“

Also lebt trotz allem, auch wenn nicht alles möglich ist, was eigentlich gedacht war. Wir wollten als Familie eigentlich in den Herbstferien für einige Tage nach Dresden fahren. Ein paar Tage vor der Abreise sah noch alles prima aus – bis dann die Infektionszahlen in Kassel so stiegen, dass wir nicht reisen konnten wegen dem Beherbergungsverbot. Dann haben wir einen halben Tag zusammengesessen, haben uns geärgert und etwas getrauert. Dann sind wir wandern gewesen im Habichtswald. Immerhin. Schön was das!

Baut euch Häuser und richtet euch darin ein! Legt euch Gärten an… Vielleicht können wir nicht das machen, was wir uns eigentlich vorgestellt und gewünscht haben, aber wir können etwas tun, was Leben ist: Macht das Exil zu einem Ort des Lebens. Entdeckt das Außergewöhnliche im Gewöhnlichen, das Wunder im Alltäglichen.

Und ein dritter Satz, der mich bewegt und der Geschichte gemacht hat: Seid um das Wohl der Städte besorgt, in die ich euch verbannt habe, und betet für sie! Denn wenn es ihnen gutgeht, dann geht es auch euch gut.«

Jeremia bittet die Menschen im Exil, die mit Sicherheit bitter und enttäuscht sind, sich nicht abzugrenzen, nicht auf Konfrontation zu gehen: Die Menschen im Exil sollten für die Babylonier beten, die das eigene Land erobert hatten und Leid über ihre Heimat und sie selbst gebracht haben. Jetzt sollen sie für diese Menschen beten! So sagte Jeremia den Menschen im Exil: Wenn ihr mit den früheren Feinden ein Zusammenleben anstrebt, dann bringt euch das weiter. Sie sollen nicht dem Gefühl der Rache Raum geben. Hier finden wir schon in Alten Testament die Spur der Feindesliebe, die wie auch bei Jesus finden. Deshalb passt dieser Text auch zu dem aktuellen Wochenspruch, den wir am Anfang gehört haben: Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. Das sind Grundaussagen unseres Glaubens, die für uns alle immer wieder eine Herausforderung sind: Frieden zu suchen, das Gemeinsame, das eine Gesellschaft zusammenhält. Gerade in dieser Pandemie ist es so wichtig, dass wir miteinander durch diese Krise kommen.

Dieser Gedanke des Ausgleichs hat für mich auch seine Bedeutung in einer anderen Frage, die in diesen Tagen immer wieder durch die Nachrichten geht. Übermorgen wird in den USA der Präsident gewählt. Dann wird sich entscheiden, ob Donald Trump nochmals vier Jahre regieren kann oder ob Joe Biden Präsident wird. Was mich in diesen Tagen geradezu mit Scham erfasst, ist, dass die Mehrheit der evangelikalen Christen in den USA Trump massiv unterstützt – von ihm sogar sagt, er sei von Gott berufen und gesandt. Gleichzeitig erleben wir Trump als einen notorischen Lügner und als einen Präsidenten, der nicht das Verbindende sucht, sondern extrem polarisiert. Ein Präsident, der rumpöbelt, sexistisch und rassistisch denkt und handelt. Ich schäme mich dafür, dass so viele Christen in den USA als Unterstützer von Trump gelten. Aber wie dieser sich verhält, hat das nichts mit dem tun, was ich als Kernaussage unseres Glaubens begreife.

Und ein vierter und letzter Gedanke. Am Ende redet auch Jeremia von Heimkehr und neuem Anfang. Ich will euer Glück und nicht euer Unglück. Ich habe im Sinn, euch eine Zukunft zu schenken, wie ihr sie erhofft. Er spricht von Gottes Willen zum Schalom, zum Frieden und umfassenden Glück. Das Exil kann für die Israeliten zum Ort des Lebens werden, aber es bleibt nur ein vorläufiger Ort. Die Leute sollen heimisch werden in der Fremde und gleichzeitig sollen sie die Heimat in sich bewahren. Das ist die Spannung der Hoffnung. Wir stellen wir uns der gegenwärtigen Realität, wir ducken uns nicht weg. Wir greifen das Leben mit beiden Händen. Und die Hoffnung, die wir haben, treibt unsere Wünsche und Gebete über das Bestehende hinaus und wird einmal dort ankommen in der Zukunft, die Gott uns gibt.

Nochmals die vier Worte, mit denen Jeremia Hoffnung gibt.

  • Gott sagt uns zu: Ich werde mich finden lassen
  • Er macht Mut zum Alltag: Baut euch Häuser und richtet euch darin ein!
  • Betet für die Stadt – Sucht den Ausgleich.
  • Hoffnung: Stellt Euch der Realität und streckt Euch nach der Zukunft aus, die Gott verspricht.

Amen.

Bleibt/ bleiben Sie behütet! Behaltet Eure Hoffnung und Zuversicht.

Pastor Michael Putzke