Liebe Gemeinde,
am Montag bin ich beim Beten ins Stocken geraten. Auf der Bezirksversammlung hatte uns der Superintendent gemeinsam eine Fürbitte sprechen lassen, wie sie im Gesangbuch steht. Die meisten dieser Gebete kann ich gut mitbeten. Ich finde unser Gesangbuch da wirklich einen Schatz, der einen zum Beten hilft, gerade dann wenn einen die eigenen Worte fehlen.
Aber als wir dann beteten: Wir bitten auch für die, die voller Hass sind, denen nichts heilig ist, die andere quälen, morden oder vergewaltigen:
Da geriet ich ins Stocken. Fürbitte halten für Vergewaltiger und für Mörder. Das hatte ich bisher noch nicht getan. Da fühlte ich mich überfordert. Diese Menschen habe ich nicht im Blick, wenn ich Fürbitte halte. Ich bete für die Opfer von Gewalt, aber für die Täter?

Es folgte dann zwar der Satz: Rufe sie zur Besinnung und lass sie umkehren von ihrem bösen Weg. Aber ich fragte mich: Will Gott solche Bitten überhaupt hören. Hat er nicht längst genug von all der Gewalt, all dem Unrecht, all dem Bösen, das unter uns Menschen geschieht. Hat er nicht genug von dem, was unter uns Menschen verkehrt läuft – und da ist Vergewaltigung und Mord nur die Spitze des Eisberges. Unrecht fängt schon viel früher an. Es geschieht andauernd, dass wir Menschen falsche Wege einschlagen – auch wider besseres Wissen, Wege, die uns von Gott und seinem Willen wegbringen, die uns hinführen zu Götzendienst und Unfreiheit und Unfrieden.

Und überhaupt hilft denn all unser Beten. Wird durch unsere Fürbitte Sonntag für Sonntag es irgendwie besser? Hört Gott noch?
In der Bibel gibt es Geschichten, die davon erzählen, dass Gott davon genug hat, dass er es eigentlich nicht mehr sehen und hören kann, was schief läuft unter den Menschen. Und darum geht er auf Distanz zu seinem Volk, für das er sich so sehr eingesetzt hat. Gott ist dabei, sie aufzugeben. Zumindest steht es so im 2.Buch Mose, 32, 7-10.

Der HERR sprach aber zu Mose: Geh, steig hinab; denn dein Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast, hat schändlich gehandelt.
Sie sind schnell von dem Wege gewichen, den ich ihnen geboten habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht und haben’s angebetet und ihm geopfert und gesagt: Das ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägyptenland geführt hat.
Und der HERR sprach zu Mose: Ich sehe, dass es ein halsstarriges Volk ist. Und nun lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne und sie vertilge; dafür will ich dich zum großen Volk machen.

Gott kann stinksauer werden, zornig.
Ganz ehrlich: So „menschlich“ wie hier von Gott erzählt wird, denke ich eigentlich nicht von Gott. Gott kommt mir hier vor wie so ein überfordertes und verzweifeltes Elternteil, das sieht, wie die eigenen Kinder auf den falschen Weg kommen. Aber es steht dem so hilflos gegenüber, dass es sich am liebsten aus der Verantwortung stehlen möchte. Ganz distanziert spricht Gott von „deinem Volk, dass du aus Ägypten geführt hat.“, als ob es nicht mehr sein Volk ist und er derjenige war, der sie befreit hat. Als ob er mit diesen da nichts zu tun hat. „Guck mal, was deine Kinder machen.“ Hört man ja auch manchmal einen Vater vorwurfsvoll zur Mutter sagen oder umgekehrt. Wie die sich daneben benehmen.
Tanzen ums goldene Kalb. Alles dreht sich nur noch um Besitz und Spaß und um sie selbst. „Muss man denen denn immer alles dreimal sagen. Und dann hören sie doch nicht. Was habe ich nicht alles für sie getan. So oft habe ich es mit ihnen probiert, aber es nützt alles nichts. Die sind so stur, so halsstarrig. Die lassen sich nichts mehr sagen. Das kannst du vergessen. Die sind auf einem völlig falschen Weg.“

Gott ist so enttäuscht über die Entwicklung seines Volkes, er ist so zornig, dass er beschließt: Das sehe und hör ich mir nicht mehr länger mit an. Es hat keinen Zweck mehr. Lass mich… -Irgendwann ist genug.
Reset-Taste drücken, noch mal von vorn anfangen – Gab es ja schon mal – man denke an die Noahgeschichte.

Aber da kommt Mose ins Spiel, der große Fürbitter. Mose, der Gott nicht lässt, der es nicht dazu kommen lässt, dass Gottes Zorn freien Lauf nimmt. Es ist, als ob er dazwischen springt und ruft: Moment, warte doch. Das kannst du nicht machen. Schau, es sind doch deine Kinder.

Mose aber flehte vor dem HERRN, seinem Gott, und sprach: Ach HERR, warum will dein Zorn entbrennen über dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand aus Ägyptenland geführt hast? Warum sollen die Ägypter sagen: Er hat sie zu ihrem Unglück herausgeführt, dass er sie umbrächte im Gebirge und vertilgte sie von dem Erdboden? Kehre dich ab von deinem grimmigen Zorn und lass dich des Unheils gereuen, das du über dein Volk bringen willst. Gedenke an deine Knechte Abraham, Isaak und Israel, denen du bei dir selbst geschworen und verheißen hast: Ich will eure Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel, und dies ganze Land, das ich verheißen habe, will ich euren Nachkommen geben, und sie sollen es besitzen für ewig. (Exodus 14, 11-13)

Was macht Mose in seiner Fürbitte?
Er verteidigt nicht das Volk Israel. Zwischen Eltern passiert das ja, dass ein Elternteil dem anderen widerspricht und sagt: Komm, das siehst du viel zu verbissen. So schlimm sind die ja gar nicht. Das wird schon wieder. Beruhige dich. Krieg dich mal wieder ein.

Nein, so kann Mose nicht mit Gott reden. Er ist ja auch selbst zutiefst enttäuscht.
Und nebenbei bemerkt: Gott macht ihm ja ein verführerisches Angebot. Dich mache ich zum großen Volk. Die anderen verschwinden, aber dir und deiner Sippe wird das Gelobte Land allein gehören. Aber darauf geht Mose nicht ein.
Aber was macht nun Mose? Mose erinnert Gott an sich selbst. Er erinnert Gott daran, dass er eine andere Seite hat. Ich kenne dich anders. Dein Name ist doch der „Ich bin für dich da. Und du bist für mich dagewesen auf dem Weg hinaus aus dem Land der Angst und Sklaverei hin zu dem Land der Gerechtigkeit und des Friedens.
Denke daran, was du schon meinen Vorfahren versprochen hast: Abraham, Isaak und Israel. Mose erinnert Gott an seine eigenen Verheißungen. Er erinnert ihn an sich selbst. Und was geschieht dann? Ein Satz fehlt noch vom heutigen Predigttext:

Da gereute den HERRN das Unheil, das er seinem Volk zugedacht hatte. (V14)
Gott lässt mit sich reden. Er hält sich nicht die Ohren zu. Gott lässt sich erinnern. Und er lässt sich letztlich umstimmen. Es reute ihn. Gott kehrt um, kehrt sich seinem Volk wieder gnädig zu.

Liebe Gemeinde,
was heißt denn das für unser Bitten, wenn wir uns Mose zum Vorbild nehmen? Dass auch wir Gott in den Ohren liegen und ihn an seine eigenen Verheißungen erinnern dürfen. Ihn daran erinnern, wer er für uns sein will. Trotz allem was unter uns Menschen und durch uns Menschen schief läuft.
Man könnte ja angesichts von Umweltkatastrophen sagen (Fukushima), da sind wir Menschen selbst dran schuld. Was soll da alles Beten? Damit brauchen wir Gott gar nicht zu behelligen. Wir sind im Tanz um das Goldene Kalb einen Weg gegangen, der weit entfernt ist von Gottes Willen, nämlich die Erde zu bewahren.
Und es wäre verständlich, wenn Gott sagt: Lass mich – es hat keinen Zweck mehr mit euch. Ihr habt die Schöpfung ruiniert. Ihr habt alles kaputt gemacht. Ich will mit euch nichts mehr zu tun haben.
Oder – man könnte wie Mose Gott in den Ohren liegen. . Ihm zurufen: Schau doch auf deine Welt, die du geschaffen hast, dass sie sich nicht selbst zugrunde richte. Bring uns wieder auf den rechten Weg. Gib uns, gib dieser deiner Welt eine Zukunft.

Mose ist ein Vorbild als Fürbitter.

Er kann von sich selbst absehen. Er hört nicht auf, Gott daran zu erinnern, dass er selbst es doch anders gewollt hat mit uns Menschen.
Darum lasst auch uns Gott in den Ohren liegen, wenn die Welt uns zu schaffen hat, mit allem Unrecht, was geschieht.
Wir dürfen bitten um Frieden immer und immer wieder. Wir dürfen bitten um Heilung. Auch wenn wir wissen, die Menschen sind selber Schuld an vielem großem und kleinem Unheil. Und wir dürfen dabei hoffen, dass Gott mit sich reden lässt.

Noch ein Gedanke zur Fürbitte.
Wenn wir beten, wollen wir Gott zu etwas bewegen. Aber eigentlich geschieht dabei etwas mit uns selbst. Wenn ich bete, gebe ich mir Rechenschaft über das, worauf ich hoffe. Beten für andere weitet meinen Blick. Betende Menschen finden sich nicht mit den Umständen der Welt ab. Sie glauben, es geht anders, Gott will es anders. Die Welt hat Zukunft. Betende Menschen sind Menschen, die an Veränderung glauben. Sie halten die Sehnsucht nach dem gelobten Land wach – das Sinnbild für die Verheißungen Gottes. Und Beten kann zu einer veränderten Haltung führen und damit auch zu verändertem Handeln.

Darum lasst uns nicht aufhören Fürbitte zu halten für diese Welt, in der so vieles im Argen ist.
Gott lässt mit sich reden. Er hört. Amen.