Es begab sich aber, als die Zeit erfüllt war, dass er hinweggenommen werden sollte, da wandte er sein Angesicht, stracks anach Jerusalem zu wandern. (…)
Und als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst. Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.
Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe. Aber Jesus sprach zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!
Und ein andrer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Haus sind. Jesus aber sprach zu ihm: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.
Lukas 9,51+57-62
Liebe Gemeinde,
kürzlich war ich auf der Post. Mir fiel eine Werbung auf, die mich überzeugen sollte, bei der Postbank ein Konto zu eröffnen:
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So funktioniert Werbung: Eröffne ich ein Konto, habe ich bestimmte Vorteile: Hier bekomme ich ein Smartphone dazu. Es gibt auch im Neudeutschen einen Begriff dazu: Ich bekomme ein „Benefit“. Neben dem Konto, das ich brauche, gewinne ich noch etwas zusätzlich. Da steckt eine Lebenshaltung hinter, die heute weitverbreitet ist. Viele Menschen fragen vor bestimmten Entscheidungen: Was habe ich davon? Was bringt mir das?
Und das gilt auch, wenn Vereine, Parteien oder auch Kirchen, Menschen werben, bei Ihnen Mitglied zu werden. In den letzten Jahrzehnten sind wir Deutschen vorsichtiger geworden, wenn es darum geht, sich langfristig an einen Verein oder eine Institution zu binden. Viele Menschen fragen: Was habe ich denn davon?
Ich habe nachgeschaut, wie Parteien und Gewerkschaften werben. Auch die versprechen Menschen, dass man Vorteile hat, wenn man bei ihnen Mitglied ist: Raten Sie mal welche Partei das ist?
Als Mitglied unserer Partei haben Sie auch vielfältige Chancen, direkt Einfluss zu nehmen. Sie können mitentscheiden …
Wenn Sie bei uns Mitglied werden, können Sie nicht nur von diesen und weiteren Angeboten Gebrauch machen. Sie werden außerdem Teil einer großen Familie. Von der Gewerkschafterin bis zum Mittelständler, von der Landwirtin bis zum Pfarrer, von dem Leistungssportler bis zur Bürgermeisterin, unsere Partei ist vielseitig wie das Leben selbst. Jeder, der unsere Werte teilt, findet bei uns seinen Platz.
Das ist die CDU!
Eine zweite Variante:
Unsere Gesellschaft steht vor großen Herausforderungen.
Wir wollen sie meistern. Dabei sind wir auf Hilfe angewiesen – Hilfe von Menschen, die mitmachen und sich einmischen. Auf diejenigen, die Position beziehen wollen zu den großen Zukunftsfragen. Aber auch auf die, die sich vor Ort um einen neuen Kinderspielplatz kümmern oder sich für die Umwelt engagieren.
Mach dich stark – werde … richtig geraten … SPD Mitglied.
Es geht auch wesentlich kürzer:
Stärken Sie Ihre Position. Werden Sie Mitglied.
So wirbt Verdi!
Ganz kurz und erstaunlich selbstbewusst klingt es bei der FDP.
Über dem Mitgliedsantrag steht einfach:
Meine persönliche Unabhängigkeitserklärung.
Wenn ich diese Werbestrategien sehe, dann merke ich, dass Jesus – so wie er von der Nachfolge redet, die Sache ganz anders angeht. Er streicht nicht die Vorteile heraus, die man hat wenn man ihm nachfolgt. Er scheint die Menschen eher abzuschrecken. Und das bis heute!
Eine engagierte Kollegin von uns berichtete von einem für sie einschneidenden Erlebnis: Sie hatte mit einer Frau mehrere Wochen die Bibel gelesen. Diese Frau war ganz offen für den Glauben. Sie kam in Gottesdienste und dann sie hörte eine Predigt über diesen Text. Danach sagte die Frau eindeutig. „Nein, das ist mir zu hart, was Jesus von mir verlangt. Wenn das so ist, kann ich ihm nicht nachfolgen.“
Für die Pastorin war es ein erschütterndes Erlebnis. Sie brachte es auf den Satz: „Das Evangelium hatte sie vertrieben.“ Seitdem ist sie persönlich von diesem Thema Nachfolge betroffen. Die Haltung Jesu ist in einer Weise radikal, dass es bis heute wehtut.
Lukas schreibt einige Verse vorher: Eine Zeit hat sich erfüllt. Er will damit sagen, jetzt verändert sich die Perspektive. Jesus ist auf seinem letzten Weg, auf dem Weg nach Jerusalem, auf dem Weg ans Kreuz. Jesus ist bereit diesen Weg zu gehen. Und dieser Weg macht die Konturen schärfer. Für alle die Jesus folgen.
Der erste Spruch warnt uns vor falschen Sicherheiten:
„Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege“.
Wir alle sehnen uns nach Geborgenheit. Geborgenheit in der Familie, bei Freunden, in einem Zuhause. Viele von Ihnen haben sich Häuser gebaut oder Wohnungen eingerichtet. Sie fühlen sich hier zu Hause und es wäre schwer für jeden, das aufzugeben. Der Weg Jesu sah aber so aus, dass sie ihr Zuhause aufgegeben haben. In seinen Worten hören aber auch heraus, dass das ihm nicht leicht gefallen ist. Jesus spricht hier von einer Verletzbarkeit: Weil er Mensch ist, hat er sie empfunden – und sie unterscheidet uns von den Tieren.
Haben Sie sich nicht schon mal gewünscht, ein umhegtes Haustier zu sein? Die gepflegte Katze der Nachbarn, der es – wie man sehen kann – an nichts fehlt oder der Hund von gegenüber, der sich offensichtlich pudelwohl fühlt. Wir haben seit zwei Jahren zwei Wellensittiche, die meistens vergnügt in ihrem Käfig sitzen und vor sich hinschlipen. Wir machen täglich den Käfig auf, dann fliegen sie zwei Runden und dann sitzen sie wieder fröhlich im Vogelbauer. Dieser Käfig ist für sie kein Gefängnis, er ist Rückzugsort und Schutz. Dort fühlen sie sich sicher. Aber noch weiter fliegen als bis zur Küchentür – das fällt ihnen nicht ein!
Ehrlich gesagt, in manchen Stresszeiten habe ich mir gewünscht, wir könnten tauschen. Die schwierige Beerdigung lasse ich aus, die zeitraubende Sitzung oder was gerade viel Kraft zieht. Heute bin ich nur Wellensittich. Futter ist da, Wasser ist da. Käfig ist offen und die Sonne scheint durchs Fenster.
In unserem Leben geht das nicht: Ich kann nicht alles so laufen lassen, wie es eben ist und wie es gerade kommt. Wir sind keine Füchse, die instinktiv Baue anlegen, um unter der Erde sicher zu sein. Tiere haben einen Instinkt und darin sind sie geborgen.
Wir Menschen sind anders, wir wissen nicht, wo wir unser Haupt hinlegen sollen. Wir schaffen uns ein Zuhause. Und Jesus konfrontiert in dieser Situation diesen Mann, der ihm nachfolgen will, damit, dass dieser Weg ins Ungewisse führt.
Tiere haben einen Instinkt. Als Menschen müssen wir uns entscheiden.
Entscheiden heißt vom deutschen Wortsinn her, eine Klinge aus der Scheide ziehen, eine Klinge freilegen. Eine Klinge trennt das eine von dem andern, hinter ihren Schnitt gibt es kein Zurück. Nur mit Mühe kann man wiederzusammenfügen, was zerschnitten ist.
Deswegen sind Entscheidungen so schwer, aber auch so wichtig. Das ist der Unterschied zwischen Menschen und Tieren. Die Tiere folgen ihren Instinkten, wir aber müssen entscheiden. Und so schwer das manchmal ist, das ist auch unsere Chance.
Eine richtige Entscheidung kann sein wie eine Befreiung. Ich lasse ein Stück meiner Vergangenheit hinter mir. Ich werfe Ballast ab. Ich werde frei für etwas Neues: Ich werde frei für eine neue Aufgabe. Ich werde frei für einen Menschen, den ich liebe. Ich werde frei für den Glauben an Gott.
Jesus will Menschen nicht knechten. Er will befreien. Das ist nicht eine Freiheit von etwas. Sondern Jesus will eine Freiheit geben zum Glauben, zur Nachfolge. Dieser Glaube atmet Freiheit. Wir haben heute Häuser und Wohnungen. Und Nachfolge Jesu bedeutet nicht, unbedingt seinen Wohnort aufzugeben. Das kann auch sein. Damals war genau dies das äußere Zeichen der Nachfolge. Es geht für uns bis heute aber um eine innere Sesshaftigkeit, aus der Jesus Menschen herausruft. Der erste Mann im Predigttext findet das Leben mit Jesus aufregend, aber er hat Angst er könnte seine Kuschelecke verlieren. Jesus, der Menschen in die Nachfolge ruft, bietet kein Nest, aber einen Weg, den er mit uns gehen will. Gott beweist sich eben dort, wo ein Mensch es wagt, sich für ihn zu entscheiden, mit ihm zu rechnen und zu leben.
Das zeigt sich auch am zweiten Spruch Jesu. Beim zweiten Mann hat Jesus die Initiative übernommen. „Folge mir“, fordert er ihn heraus. Als er um Aufschub bittet wegen einer Beerdigung, sagt er ihm: „Lass die Toten ihre Toten begraben, du aber gehe hin und verkündige das Reich Gottes.“
Der Mann befindet sich in einer besonderen Situation. Sein Vater ist gestorben. Von ihm wird erwartet, dass er den Trauerzeremonien beiwohnt. Nichts Ungewöhnliches auch für uns. Aber will Jesus den Mann wirklich von der Beerdigung abhalten? Geht es Jesus um zwei, drei Stunden? Ist dies nicht ein berechtigter Wunsch, den Vater zu bestatten? Was für eine Härte steckt darin? Man kann dieses Wort Jesu so erklären, dass der Vater noch lebte, und der Sohn nicht gegen den Willen des Vaters verstoßen wollte und letztlich ausdrückte: Wenn mein Vater tot ist, dann will ich dir nachfolgen.
Oder der Vater ist gestorben und nun soll er in die Fußstapfen seines Vaters treten und sein Geschäft übernehmen, Verantwortung für seine Mutter übernehmen. Ginge der Mann zur Familie zurück würde er nicht mehr loskommen. Da ist ein tiefer Konflikt im Leben dieses Mannes, seine Loyalität gegenüber den Erwartungen der eigenen Familie und auf der anderen Seite seinen Wunsch, ein Leben mit Jesus zu wagen. Und Jesus fordert ihn heraus, hier eine Entscheidung zu treffen. Wir würden Jesus Worte falsch verstehen, wenn wir denken, es ginge darum, Familienbande zu vernachlässigen und Beziehungen leichtfertig aufzugeben.
Wieder spüren wir, hier es geht um Freiheit: Um eine innere Freiheit, einen Weg zu gehen, von dem ich spüre, der ist jetzt dran für mich. Und wenn dieser Weg sich zeigt, darf man ihn nicht aufschieben. Man darf nicht warten. Es gibt diese starke Frage:
Wann, wenn nicht jetzt? Jetzt geh diesen Weg, nicht um Menschen der eigenen Familie leichtfertig zu verletzten sondern, weil es dein Leben, dein Weg ist.
Ich bin mir sicher alle in diesem Raum kennen solche Geschichten.
Wir kennen Momente, in den wir gewagt haben, den Weg zu gehen, der jetzt einfach dran war – auch ahnend, dass wir andere enttäuschen und verletzen. Aber wenn man zurückschaut, wird uns klar, es war richtig und gut, zu gehen.
Und viele mögen sich auch an Momente erinnern, da hat man sich nicht getraut. Die Frage „Wann, wenn nicht jetzt?“ hat man weggedrückt. Man hat gewartet. Man hat versucht, die Erwartungen der anderen zu erfüllen. Um bloß nicht zu enttäuschen. Und noch viele Jahre hat man sich zurück erinnert und gedacht, was würde ich darum geben, jetzt noch einmal entscheiden zu können und ich gehe meinen eigenen Weg.
Jesus ruft in die Nachfolge, aber auf eine Nachfolge unter Bedingungen lässt sich Jesus nicht ein. Sein Ruf bindet stärker als alles andere. Sein Ruf in die Nachfolge will frei machen von anderen Bindungen.
Jesus möchte, dass wir uns zutrauen, erwachsen zu sein und unser eigenes Leben zu leben, nicht bedauernd nach rückwärts, sondern hoffend nach vorn ins Leben selbst, das Gott für uns bereit hält.
Das beschreibt am Schluss auch das dritte Jesuswort: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes“.
Mit dieser schroffen Reaktion ist Jesus noch eine Spur härter als der Prophet Elia. Die damaligen Hörer hatten alle die Berufungssituation des Propheten Elisa im Ohr. (1.Kön.19,19-21) Der große Prophet Elia möchte Elisa als seinen neuen Mitarbeiter für Gottes Reich gewinnen. Als Zeichen dafür, dass Gott ihn auserwählt hat, wirft er ihm eines Tages, als dieser bei der Arbeit mitten auf dem Feld war, seinen Mantel über die Schultern. Elisa ist auch zur Mitarbeit bereit, möchte sich aber vorher noch von seinen Eltern verabschieden. Elia lässt das zu. Elisa verabschiedet sich von seiner Familie und folgt dann dem Propheten.
Doch Jesus ist härter und deutlicher als Elia: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geeignet für das Reich Gottes.“
Gleichzeitig unter neuen Bedingungen und in alten Verhältnissen leben, geht nicht. Jesus will, dass wir unser Leben nach vorn leben und nicht dem Vergangenen verhaftet bleiben. Leicht ist das nicht, denn unsere Vergangenheit hält uns fest. Aber falsche Rücksichten bringen uns nicht weiter: Das, was die Leute sagen, was unsere Familie erwartet, die Tradition – weil es immer schon so war, oder unser Blick auf unsere eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten, die wir an uns empfinden.
Maßstab ist nicht, das Gelingen oder Misslingen unserer Arbeit, entscheidend ist, ob wir den Blick nach vorn wenden. Haben wir die Freiheit, uns zu entschließen, Gott zu sagen: „Gebrauche mich, leite mich, ich will dir folgen.“
Nachfolge ist so gesehen ein Schritt in eine unerhörte Freiheit. Eine Freiheit, die mich auch fordert, eine Freiheit für ein Leben mit Gott. Das ist das, was wir gewinnen. In jedem Fall führt der Weg der Nachfolge nicht an unserem Leben vorbei, sondern in es hinein. In ein erfülltes Leben, ein Leben, in dem ich meine innere Sesshaftigkeit verliere…
Nachfolge führt nicht jeden Menschen in die gleiche Richtung, wie man denn auch nicht sagen kann, das Himmelreich sei hier oder da.
Für manche heißt, hier die Zelte abzubrechen und wo andere neu anfangen. Es kann heißen, diese eine Aufgabe will ich jetzt übernehmen und dafür gebe ich anderes auf. Oder ich spüre, diese Ausbildung, dieses Studium ist mein Weg in die Zukunft.
So schroff die Worte Jesu in unseren Ohren klingen, sie wollen uns Mut machen, für die Schritte, auf die es ankommt im Glauben und Leben. Zur rechten Zeit, Abschied zu nehmen. Gottes Reich will jetzt und hier beginnen mit Menschen, die ihm trauen wollen. Jesus ruft uns Menschen weg von falschen Sicherheiten zur Geborgenheit in Gott selbst. Er will, dass wir uns zutrauen im Angesicht Gottes unser eigenes Leben zu führen, nicht bedauernd nach rückwärts, sondern hoffend nach vorn. Amen.
Bei dieser Predigt haben mich Predigten von Cornelia Trick, Wilfried Engemann und Michael Herbst inspiriert.