1 Und der HERR sandte Nathan zu David. Als der zu ihm kam, sprach er zu ihm: Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm. 2 Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder; 3 aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß und er hielt’s wie eine Tochter. 4 Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er’s nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war, sondern er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war.
5 Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan: So wahr der HERR lebt: Der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat! 6 Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes geschont hat.
7 Da sprach Nathan zu David: aDu bist der Mann! So spricht der HERR, der Gott Israels: Ich habe dich zum König gesalbt über Israel und habe dich errettet aus der Hand Sauls 8 und habe dir deines Herrn Haus gegeben, dazu seine Frauen, und habe dir das Haus Israel und Juda gegeben; und ist das zu wenig, will ich noch dies und das dazutun. 9 Warum hast du denn das Wort des HERRN verachtet, dass du getan hast, was ihm missfiel? aUria, den Hetiter, hast du erschlagen mit dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast du umgebracht durchs Schwert der Ammoniter. 10 Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen, weil du mich verachtet und die Frau Urias, des Hetiters, genommen hast, dass sie deine Frau sei.
13 Da sprach David zu Nathan: aIch habe gesündigt gegen den HERRN. Nathan sprach zu David: bSo hat auch der HERR deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben.
2.Samuel 12, 1-10 +13
Liebe Gemeinde,
diese Geschichte vom König David rührt an ein brisantes Thema. Es geht um die Frage von Sünde und Schuld.
Drei Fragen habe ich an diese Geschichte:
1. Was ist in dieser Geschichte Sünde?
2. Warum ist es so schwer, die Schuld zu bekennen?
3. Was gewinne ich denn, wenn ich bekenne?
Was ist in dieser Geschichte Sünde?
Wir Menschen werden schuldig. Zu unserem Leben gehört die Sünde. Die Bibel sagt uns immer wieder eine unangenehme Wahrheit: Wir sind Sünder. Paulus hält im Römerbrief fest: Da ist keiner, der gerecht ist, auch nicht einer. Die Konsequenz des Paulus daraus gipfeln in dem Satz: Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten. Niemand kann sich für Paulus an dieser Stelle herausreden und eine Sonderstellung beanspruchen. Jeder Mensch wir schuldig.
Diese Geschichte von David und Batseba entspricht aber in besonderer Weise einem gewissen Verständnis von Sünde: In dieser Geschichte geht es um Sexualität.
Immer wieder hat man in der Geschichte der Kirche beides ganz nahe zusammengebracht. Sexualität und Sünde wurden miteinander identifiziert. Als wäre Sexualität an sich Sünde …
Heute sagen wir eindeutig: Sexualität ist nicht Sünde. Wir sagen als Kirchen heute sogar: Sexualität ist eine Gabe Gottes.
Wir können Gott dafür danken, dass Gott sie uns gegeben hat. Da haben wir als Kirchen viel lernen müssen uns das ist gut so. Aber die Sünde, die Trennung von Gott, ist so umfassend. Sie betrifft unser Denken und sie wirkt sich auch in unserem Handeln aus. In allem, was wir tun, können wir fehlen. Und damit auch in unserer Sexualität. Wie David in dieser Geschichte…
Der Prophet Nathan zeigt dem König worin sein Schuld liegt: Der übermächtige König kann nicht genug bekommen – er hat eigentlich alles im Überfluss. Die Beispielgeschichte des Nathan setzt es ins Bild: Er hat sehr viele Schafe und Rinder, Uria nur eines. Es ist die Maßlosigkeit des Königs. Das ist seine Sünde.
Das ist bis heute aktuell: Von etwas nicht genug zu bekommen, ist Sünde. Eigentlich habe ich doch schon so viel, es muss immer mehr sein.
Die Geschichte dieser Affäre zwischen David und Batseba zeigt noch etwas, was die Sünde ausmacht. Eine Sünde zieht die andere nach sich. Zuerst kommt die Affäre mit Batseba, aber als sie ein Kind bekommt, versucht David, alles zu vertuschen, um den Schein zu wahren. Das versuchen wir immer wieder. Wir ahnen, dass wir einen Fehler gemacht haben. Und dann versuchen wir das ganze ungeschehen zu machen und verschleiern es. Hier wird die Geschichte vollends zum Drama. Der Versuch zu Verschleiern führt dazu, dass der Mann der Batseba, Uria, ums Leben kommt und mit ihm auch noch andere.
Ich habe das letzte Mal vor sechs Jahren über diesen Text gepredigt. Was hat sich in dieser Zeit alles ereignet: Was ist alles ans Licht gekommen an Skandalen über sexuellen Missbrauch? Zum Beispiel an der Odenwaldschule in Südhessen. Und auch in kirchlichen Einrichtungen: Zum Beispiel am Canisius Kolleg in Berlin. Es fällt uns so schwer zu glauben, dass Menschen, die aus der Bibel leben, die gläubig sind, zum sexuellen Missbrauch fähig sind. Es ist nicht allein ein Problem der katholischen Kirche. Auch unsere Kirche schult jetzt Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, weil wir wissen auch in unserer Kirche hat es Übergriffe gegeben. Niemand kann sagen, damit haben wir nichts zu tun.
Vor einigen Jahren habe ich für unsere Kirchenzeitung „unterwegs“ mit einem Pastor ein Interview geführt, in dessen Gemeinde mittlerweile Erwachsene Menschen berichtet haben: Wir sind als Kinder und Jugendliche begrabscht worden. Ein langjähriger Mitarbeiter wurde daraufhin von der Arbeit mit Kindern abgezogen. Die Reaktion in der Gemeinde war unterschiedlich: Einige war erschrocken und glaubten den Opfern. Andere aber sagten: Sie sollen sich nicht so haben, das sei doch früher auch schon so gewesen.
Missbrauch fängt früh an. Und jede Kirche, jede Gemeinschaft, jede Gemeinde hat die Aufgabe, die Kinder zu schützen. Auch hier gilt das Wort des Paulus: Da ist keiner, der gerecht ist, auch nicht einer.
Zur zweiten Frage: Warum ist es so schwer, die Schuld zu bekennen?
Ja, es ist schwer, Schuld zu bekennen! In der Geschichte von Nathan können wir das ablesen. Der Prophet konfrontiert David nicht direkt mit seiner Tat: „Du hast Uria umbringen lassen, weil Du mit seiner Frau geschlafen hast!“ Nein, Nathan erzählt eine Geschichte. Er erzählt ein Gleichnis von einem Mann, der sich etwas nimmt, was ihm nicht gehört: Und es braucht den Moment, dass David sich über diesen Mann in Zorn gerät und seine Bestrafung fordert. So wahr der HERR lebt: Der Mann ist des Todes, der das getan hat! David muss seine Tat quasi von außen sehen, sonst würde er sie nicht sehen, sonst bliebe er blind für seine eigene Tat. Vielleicht muss Nathan diesen Weg gehen, weil David ein König ist. Ein König ist an sich nicht ein Mann, dem man ungestraft seine Fehler vorhält. Muss Nathan Angst haben wenn er den König mit der unangenehmen Wahrheit konfrontiert?
In einer Andacht zu diesem Text stellte jemand die Frage: Haben Sie jemanden, der ihnen unangenehme Wahrheiten sagen darf?
Diese Frage ist bei mir eingeschlagen. Und ich gebe Sie an Sie weiter.
Wann hat ihnen das letztemal jemand gesagt: „Du hast da einen kolossalen Fehler gemacht. Du musst das ändern. Du musst Dich ändern!“ Und ich lasse das auch zu.
Ich verstehe das als Hilfe und nicht als Übergriff. Ein offenes Wort: Wie viele Ehen sind in dieser Stelle Nichtangriffspakte? Du redest mir nicht rein und ich dir nicht! Oder Beziehungen sind da nicht ausgewogen, sondern asymentrisch. Ein Partner hat das sagen, darf kritisieren und der andere Partner schweigt. Sonst ist was los!
Ich glaube an dieser Stelle sind wir da alle Könige, die auf einem hohen Thron sitzen. Wir lassen am liebsten die Leute an uns heran, die uns nach dem Munde reden, oder von denen wir uns nichts zu befürchten haben.
Dabei gibt es doch nicht besseres als jemanden zu haben, der mich kennt und dem ich am Herzen liege und der mir sagt: „Du hast einen Fehler gemacht, Du hast dich verrannt…“
Ich glaube, dass Ehepartner und gute Freunde einem solche Menschen sein können. Die Basis unserer Beziehung ist Wertschätzung, Liebe und großes Interesse aneinander. Das ist auch die Voraussetzung: Ich lasse mir etwas sagen, was mir unangenehm ist, aber ich lasse mir das sagen, weil ich spüre, diesem Menschen liege ich am Herzen. Dieser Mensch hält mir den Spiegel vor, weil er will, dass es mir gut geht, weil er/sie Interesse an mir hat.
Wenn Sie sich vorhin nicht daran erinnern könnten, wann ihnen jemand eine unangenehme Wahrheit gesagt hat, dann ist es Zeit etwas zu ändern!
Und jetzt drittens: Was gewinne ich denn, wenn ich bekenne?
Liebe Gemeinde, letztlich liegt darin eine Chance, wenn man endlich „ich“ sagt! Nathan greift David frontal an: Du bist der Mann! Das ist das Zentrum der Geschichte. Du bist der Mann. In diesem Du erkennt David sich selbst. Dieser Moment der Selbsterkenntnis muss für David zugleich erschreckend und befreiend gewesen sein.
David versucht nicht zu relativieren. Ich hatte so schwere Regierungswochen hinter mir…, Ich war angetrunken, als ich sie sah. Die Frau ist doch schuld, warum badet sie auch so öffentlich… David relativiert nicht. Er wird vom Propheten als verantwortlich Handelnder angesprochen. Du bist gemeint und er sagt es dann auch: Ich habe gesündigt gegen den HERRN.
Liebe Gemeinde,
wenn wir von Gott so angesprochen werden, dann gibt es kein Entkommen, dann kann ich nicht sagen, aber die anderen sind auch Schuld. Dann kann ich nicht fliehen in ein allgemeines „Man macht das eben so“, sondern dann geht es um das ICH des Menschen, um meine Person.
Und wenn ich erkenne und bekenne: Ich habe gesündigt von Gott, dann steckt darin schon so etwas wie eine Ankündigung des Evangeliums.
Denn Gott der uns mit unserer Schuld konfrontiert, will uns daran nicht behaften. Seine Perspektive ist nicht rückwärtsgewandt – sie schaut nach vorne:
Gott hat Gefallen am Blick nach vorn und nicht daran, dass wir die eigenen Unmöglichkeiten beklagen.
Zur Anklage „Du bist der Mann“ dazu gehört das Angebot Gottes: Kehr um. Dir wir die Umkehr zugemutet und auch zugetraut.
Du bist der Mensch, heißt immer: Jetzt ist der Moment. Jetzt musst du handeln, kehr um, schieb das nicht auf. Merken Sie, dass Gott uns damit nicht klein hält, wenn er uns auf Schuld aufmerksam macht. Nein, er richtet uns auf. Ein Ausleger* schrieb sinngemäß zu dieser Geschichte:
Mit Wucht bricht das Ich hervor aus meiner Sünde, meiner Missetat und meiner Sehnsucht nach Erneuerung. Nicht geschwächt, sondern gestärkt geht das Ich hervor aus der Einsicht der eigenen Sünde.
Amen.
*Michael Meyer-Blanck in seiner starken Auslegung über diesen Text: „Sündiges Begehren“ in den Göttinger Predigtmeditationen, 2. Vierteljahresheft , 68. Jahrgang, Heft 3, Seite 387 bis 392. Von dieser Auslegung habe ich beim Schreiben dieser Predigt sehr profitiert.