Predigtext Hebräer 12,12-18.22-25
12 Macht also die erschlafften Hände wieder stark, die zitternden Knie wieder fest!
13 Geht auf rechten Wegen, damit die lahm gewordenen Füße nicht auch noch verrenkt, sondern wieder heil werden!
14 Bemüht euch um Frieden mit allen in der Gemeinde und darum, daß ihr heilig seid und euer ganzes Leben Gott gehört.
15 Gebt aufeinander acht, daß niemand die Gnade Gottes verscherzt und daß nicht jemand unter euch wie eine giftige Wurzel ausschlägt und viele vergiftet.
16 Keiner von euch soll ein ausschweifendes Leben führen wie Esau. Weil er Gott nicht ehrte, verkaufte er das Vorrecht des Erstgeborenen für eine einzige Mahlzeit.
17 Und ihr wißt, als er später den Segen seines Vaters und damit sein Erbe haben wollte, wurde er abgewiesen. Es war zu spät zur Umkehr, auch wenn er noch so sehr und unter Tränen nach einer Möglichkeit dazu suchte.
18 Ihr seid nicht zu dem Berg Sinai gekommen, den man berühren konnte. Ihr seid nicht zum lodernden Feuer gekommen, zur Dunkelheit und schwarzen Nacht, zum Sturm,
22 Ihr seid vielmehr zum Berg Zion* gekommen und zur Stadt des lebendigen Gottes. Diese Stadt ist das himmlische Jerusalem mit seinen vielen tausend Engeln*.
23 Ihr seid zu einer festlichen Versammlung gekommen, zur Gemeinde von Gottes erstgeborenen Söhnen und Töchtern, deren Namen im Himmel aufgeschrieben sind. Ihr seid zu Gott gekommen, der alle Menschen richtet, und zu den seligen Geistern: den Menschen, die den Willen Gottes getan haben und schon vollendet sind.
24 Ihr seid zu Jesus gekommen, der als Mittler den neuen Bund* in Kraft gesetzt hat, und zu dem reinigenden Blut*, das – anders als Abels* Blut – Vergebung zuspricht, nicht nach Vergeltung ruft.
25 Gebt also acht und verweigert euch dem nicht, der jetzt spricht! Das Volk, das am Berg Sinai den nicht hören wollte, der auf der Erde sprach, ist der Strafe nicht entgangen. Wieviel weniger werden wir ungestraft davonkommen, wenn wir den zurückweisen, der vom Himmel spricht!

Liebe Gemeinde,

vor etlichen Jahren habe ich mal eine Bergtour im Fagarasgebirge in Rumänien gemacht. Ein wunderschönes Gebirge. Meine älteren Geschwister hatten mir durch ihre Erzählungen und Bilder die Tour schmackhaft gemacht. Nun hatte sich ein Teil meines Jugendkreises auf den Weg gemacht. Als wir aus dem Zug stiegen und den Gebirgszug sahen – waren wir total begeistert. Voller Enthusiasmus machten wir uns auf den Weg rauf zum Gipfel. Aber im Gebirge kann man sich leicht verschätzen. Was so nah erscheint, zieht sich dann tüchtig in die Länge. So war es jedenfalls bei uns. Wir hatten uns völlig verschätzt und auch überschätzt.
Der Aufstieg zog sich und zog sich hin. Es dauerte ewig, bis wir die Baumgrenze erreichten. Wir mussten einsehen, an einem Tag schaffen wir es nicht bis rauf zum Kamm. So schlugen wir anders als geplant auf halber Höhe die Zelte auf. Hinzukam, dass das Wetter ungemütlich wurde. Einer hatte sich Blasen gelaufen und humpelte durch die Gegend.
Und ich spürte es in den Knien. Ich spürte, dass ich aus dem Flachland kam, sonst hauptsächlich im Sitzen tätig war und wenig Sport trieb.
Am nächsten Morgen war das eine Knie angeschwollen. Im Laufe des Tages wurde es schlimmer. Ich fühlte mich nicht mehr so sicher damit.

So schwer hatte ich mir die Gebirgstour nicht vorgestellt. Ich überlegte, soll ich aufgeben, soll ich allein absteigen. Der mit den Blasen musste auch tüchtig die Zähne zusammenbeißen. Aber die anderen schienen fitter als ich.
Immer öfter legte ich Pausen ein.
Einer verdrehte die Augen, ihm ging es zu langsam vorwärts. Ich hörte ihn schimpfen: „Da kommen wir doch nie an.“ Das Stimmungsbarometer in der Gruppe sank.

Aber was sollte ich machen? Es war echt unangenehm, so zu schwächeln.
Aber die Knie schmerzten nun mal.
Ein Freund sah mir an, wie fertig ich war. Er nahm mir ein bisschen was von meinem Gepäck ab. Nicht viel, denn er hatte ja selbst genug zu schleppen. Aber die Geste, die half schon. Dann wartete er auf mich an Weggabelungen, dass ich der Gruppe nicht verloren ging. Und er munterte mich immer wieder auf. „Stell dir den Blick vor, wenn wir da oben auf dem Gipfel sind – das muss eine Aussicht sein. Los noch ein bisschen weiter auf dem Weg! Wir schaffen das.“

Kirche mit weichen Knien

Macht also die erschlafften Hände wieder stark, die zitternden Knie wieder fest!
Geht auf rechten Wegen, damit die lahm gewordenen Füße nicht auch noch verrenkt, sondern wieder heil werden!
Liebe Gemeinde, so beginnt der heutige Predigttext aus dem Hebräerbrief Kap 12. Es ist ja ein wirklich schwieriger und langer Text. Ich weiß nicht, welche Stichworte von der Lesung vorhin bei Ihnen hängengeblieben sind.
Ich bin jedenfalls an den zitternden Knien hängengeblieben und fühlte mich erinnert an diese eben erwähnte Bergtour.

Glaubensweg als anstrengende Bergtour, bei der die Knie anfangen zu zittern. Vielleicht gar nicht mal so ein abwegiger Vergleich.
Denn so beschwerlich hatten es sich die Christen damals nicht mit dem Glaubensweg vorgestellt.

Die Christen der zweiten Generation waren aufgebrochen im Glauben mit Freude und Erwartung bald bei Christus anzukommen. Aber unterwegs sind die Knie weich geworden. Es dauert alles länger als erwartet. Es ist mühsamer, als man gedacht hatte. Der anfängliche Enthusiasmus war verschwunden. Man kommt ins Zweifeln: Ist man auf dem richtigen Weg? Etliche denken ans Aufgeben. Manche sind schon gegangen.

Eine Kirche mit weichen Knien?

Christliche Gemeinden sind ja selten eine Gemeinschaft der Fitten und Durchtrainierten. Auch wir sind keine Wandergruppe der immer Glaubensstarken und Unangefochtenen. Ja, einzelne schreiten frohgemut voran, strotzen vor Lebenskraft, haben Ideen, viel Hoffnung. Aber viele sind auch mühselig und beladen, haben Schürfwunden an der Seele. Manchmal haben sie auch wenig Kraft, das Leben anzupacken und in den Griff zu bekommen. Diese hat ja Jesus auch ganz besonders eingeladen: Kommt her, ihr Mühseligen…

Und wir dürfen das auch zugeben,wenn das Leben zur Glaubensanfechtung wird. Anfechtung und Zweifel – sie haben ihren Platz in der christlichen Gemeinde. Anfechtung und Zweifel – sie treten in wohl fast jeder Glaubensbiografie auf. Denn: Wem von euch ist nicht schon mal zittrig geworden? Wer hat sich nicht schon mal gefragt, warum – warum gerade ich? Wie soll es weitergehen? Wie soll ich das schaffen? Wo ist denn nun Gott?

Wie können nun weichgewordene Knie wieder fest werden?

Wie kann Stärkung geschehen, Heilung? Der Rat des Hebräerbriefes ist: 14 Bemüht euch um Frieden mit allen in der Gemeinde und darum, dass ihr heilig seid und euer ganzes Leben Gott gehört. Gebt aufeinander acht, dass niemand die Gnade Gottes verscherzt… Um Frieden bemühen und aufeinander Acht haben – als Stärkungsmittel.

Bei der Bergtour damals war es für mich besonders belastend, dass die Stimmung in der Gruppe nach unten sackte. Und dass es welche gab, die überhaupt kein Verständnis für meine Schwäche hatten.

Ich glaube, es ist auch für das Miteinander-unterwegs-sein in einer Gemeinde ungeheuer wichtig, auf das Stimmungsbarometer zu achten. Wenn Menschen neu zu einer Gemeinde stoßen, spüren die ganz schnell, wie die Stimmung ist. Die spüren, wenn da was nicht in Ordnung ist. Wenn was ungeklärt geblieben ist. Die kriegen mit, wie mit Schwächen einzelner umgegangen wird. Unfrieden ist der häufigste Grund, warum Menschen wegbleiben und aus einer Gemeinde rausfallen.

Ich fühle mich durch den Text herausgefordert (besonders , wo wir noch so ziemlich am Beginn eines neuen Jahres stehen) mich zu prüfen:

Wie sieht es bei mir mit dem Frieden aus? Bin ich im Frieden mit mir und mit den anderen? Oder bin ich im Unfrieden – unzufrieden?

Es muss ja keine offenen Konflikte geben. Aber fragt euch doch mal selbst: Seid ihr im Frieden mit euch und mit den anderen? Gibt es da irgendwelche Störfaktoren des Friedens? – Jagt dem Frieden nach – übersetzt Luther diese Stelle. Damit bekommt die Aufforderung etwas sehr Dringliches. Frieden ist nicht einfach, sondern der kann mir davonlaufen, ich muss ihm nachjagen.
Der Reformator Calvin schrieb über diese Stelle im Hebräerbrief: „Die Menschen sind von Natur so beschaffen, daß sie den Frieden eher zu fliehen scheinen: da ist jeder mit sich selbst so beschäftigt und fordert Rücksicht auf seine eigene Art, während er die Art der anderen nicht gelten lassen will. Wenn wir daher dem Frieden nicht mit ganzem Ernste nachjagen, entschwindet er uns beständig“.

Inwieweit liegt es an mir, liegt es an jedem und jeder einzelnen, dass Frieden ist? Eine kleine Geschichte hilft mir da in meinem Nachdenken:

Zwei Wölfe (aus: Oh! Noch mehr Geschichten für andere Zeiten)
Eine alte Indianerin saß mit ihrer Enkelin am Lagerfeuer. Es war schon dunkel geworden, das Feuer knackte, die Flammen züngelten zum Himmel.
Die Alte sagte nach einer Weile des Schweigens: „Weißt du, wie ich mich manchmal fühle? Es ist, als ob zwei Wölfe in meinem Herzen miteinander kämpfen würden. Einer der beiden ist rachsüchtig, aggressiv und grausam. Der andere ist liebevoll, sanft und mitfühlend.“
„Welcher der beiden wird den Kampf um dein Herz gewinnen?“, fragte das Mädchen. Bedächtig antwortete die Alte: „Der, den ich füttere.“
Ich will das mal noch ein bisschen erweitern: Der eine Wolf ist selbstbezogen. Er ist schnell im Urteilen über andere. Fühlt sich ungerecht behandelt, das macht ihn wütend auf sich, auf andere, auf das Leben überhaupt. Der andere Wolf schaut dankbar auf das Leben. Er ist neugierig. Er entdeckt die Möglichkeiten und Begabungen, die Gott in ihn und in andere gelegt hat. Er kann sich und anderen vergeben.

Beides tragen wir in uns, behaupte ich. Die Frage ist: Welchen Wolf nähre ich? Welche Seite in mir will ich bewusst stark machen? Ich habe darauf einen Einfluss. Ich kann den Frieden nachjagen. Es liegt an uns allen, wie die Stimmung auf unserer gemeinsamen Glaubensbergtour ist.

Nun bin ich etwas weg vom Text. Der wird jetzt auch richtig schwierig. Der Hebräerbrief warnt eindringlich davor, dass jemand aus der Gnade herausfällt, wenn er den Weg der Nachfolge verlässt. Deshalb mahnt er ja so dringlich: Wir sollen aufeinander achten. Er sieht schon im Wegbleiben von der Gemeinde und in der Glaubensermüdung eine Gefahr, ganz herauszufallen. Ich kann mir vorstellen, dass viele jetzt innerlich aufschreien. Aber das neutestamentliche Zeugnis ist da sehr klar. Glaubensweg kann nur in einer Gemeinschaft der Glaubenden gegangen werden und nicht für sich allein. Da unterscheidet sich das Christentum vom Buddhismus als einer ganz individualistischen Religion. Christlicher Glaube und Gemeinschaft gehören zusammen. Bei so einer anstrengenden Bergtour ist man darauf angewiesen, dass andere einen mitziehen, dass man sich gegenseitig hilft und aufeinander achtet. Das kriegt man nicht alleine hin.

Als Negativ-Beispiel für den Abfall wird auf Esau verwiesen, der für ein Linsengericht den Erstgeburtssegen verkauft hat. Der Hebräerbrief spricht da nicht ganz schriftgetreu und auch nicht fair vom ausschweifenden Leben des Esau. Esau dient ihm als Beispiel für das Gefangensein in irdischen Gütern, für die Sucht nach schneller Befriedigung auf Kosten der Gnade. Und vor allem führt er das Beispiel an, weil es für Esau kein Zurück mehr gab. Keine Möglichkeit die Entscheidung rückgängig zu machen. Den Segen kriegt er nicht mehr. Das hat mich als Kind schon immer an der Geschichte von Jakob und Esau geärgert, dass der nicht noch mal eine Chance kriegt.

Nach der Auffassung des Hebräerbriefes gibt es kein Zurück mehr, wenn jemand vom Glauben abgefallen ist. Der Abfall vom Glauben war schlimmer, als niemals geglaubt zu haben. Es ist kein Wunder, dass Luther, nachdem er den gnädigen Gott entdeckt hat, den Hebräerbrief am liebsten aus dem neutestamentlichen Kanon streichen wollte. Und auch in der Kirchengeschichte hat man sich von dieser Auffassung des Hebräerbriefes distanziert und gesagt, es gibt die Möglichkeit zurückzukommen. Du kannst Buße tun und wieder Teil der Glaubensgemeinschaft werden.
Gott, der da reich ist an Barmherzigkeit – so haben wir es vorhin gesungen – Gott empfängt verlorene Söhne und Töchter mit offenen Armen.

Doch wir wissen auch, wie schwierig es ist, wenn Menschen einmal im Konflikt oder auf Grund einer Enttäuschung aus einer Kirche gegangen sind, dass sie später wieder Zugang bekommen. Es ist möglich – Gott sei Dank. Wir haben Beispiele unter uns. Aber es ist ein schwieriger Weg. Darum die Mahnung schon unterwegs: Stärkt die schlaffen Hände, macht die zittrigen Knie fest…Jagt dem Frieden nach, gebt aufeinander acht…Bleibt nicht hinter Gottes Gnade zurück….
Der Glaubenskurs, den wir im Februar und März anbieten, der soll auch dieser Stärkung dienen und dem Festmachen von zittrigen Knien. Da geht es um Glaubensvergewisserung, weil das eben nicht selbstverständlich ist, dass man lebenslang festen Schrittes auf dem Glaubensweg bleibt. Da braucht es auch immer wieder Nahrung und Austausch. Und das kriegt man nicht aus sich selbst heraus. Ich würde mich riesig freuen, wenn da eine Gruppe auf Zeit entsteht, die sich da gegenseitig auf ihrer Glaubensbergtour festigt und ermutigt, damit wir alle zum Ziel kommen.

Das Ziel

Wie weit ist es noch zum Ziel? Jedem von uns ist eine eigene Zeitspanne für den Glaubens- und Lebensweg geschenkt. Niemand weiß, wie lang die Strecke jeweils noch ist. Das ist die eine Perspektive. Die andere Perspektive, die der Predigttext hier auftut, ist angesichts dessen schon erstaunlicher: „Ihr seid schon gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem lebendigen Jerusalem.“ Euer Name ist schon aufgeschrieben. Ihr seid gekommen zu Jesus.

Was heißt das? Ihr seid gekommen heute (schon hier und jetzt) in der Erwartung Gottes Gegenwart zu erleben. Ist jeder Gottesdienst ein Gipfelsturm?
Ist nicht jedes Abendmahl ein Vorgeschmack auf das Festmahl im Himmel. JA, für Menschen, die mit Christus unterwegs sind, ist tatsächlich in gewisser Weise der Weg schon das Ziel. Unterwegs begegnen wir schon Gott. Auf dem Glaubensweg macht er schon etwas von seiner Zukunft offenbar, zu der wir unterwegs sind.

Er selber ist es, der uns zuruft: „Bleib dabei. Los noch ein Stück. Dann ist es geschafft.“ Christus selbst stärkt uns die Knie, schenkt uns neue Kraft und führt uns zum Ziel. Amen