Liebe Schwesten, liebe Brüder, heute feiern wir den sogenannten „Hirtensonntag“ – Miserikordias Domini – so die Bezeichnung im Kirchenjahr. Er ist vor allem bestimmt vom Evangelium vom Guten Hirten, das wir auch eben in der neutestamentlichen Lesung hören durften (Johannes 10, 11-16 – Auszug aus „Der gute Hirte“).
Der Text versichert uns, der Gute Hirte sorgt für seine Schafe, warnt aber gleichzeitig vor den falschen Hirten, die nur auf sich selbst bedacht sind. Entscheidend ist aber die Zusage des Herrn Jesu: Als guter Hirte gibt er sein Leben für die Schafe. Ich lese uns den Text für die Predigt aus 1. Petrus 2, 21-25:
21 Denn dazu seid ihr berufen, da auch Christus gelitten hat für euch und euch ein Vorbild hinter–lassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußstapfen;
22 er, der keine Sünde getan hatund in dessen Mund sich kein Betrug fand;
23 der nicht widerschmähte, als er geschmäht wurde; nicht drohte, als er litt; er stellte es aber dem anheim, der gerecht richtet;
24 der unsre Sünde selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, damit wir, der Sünde ge–storben, der Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr heil geworden.
25 Denn ihr wart wie die irrenden Schafe; aber ihr seid nun bekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.
Liebe Schwester, liebe Brüder, das war ein kurzer Text. Nur 5 Verse, dafür haben die es aber, wie ich finde, echt in sich. Unglaublich dicht an Inhalt sind diese wenigen Zeilen. Der Text gehört zu den Briefen des Petrus. Und speziell bei den Briefen, die wir im Neuen Testament so zahlreich finden, ist die Frage interessant, an wen diese Briefe, und damit auch dieser dichte Inhalt denn gerichtet war. Wer waren die Adressaten?
Relevant finde ich das deswegen, weil sich für uns in erster Linie die Frage stellt, was dieser Brief uns heute sagen will und kann. Schließlich wurde er vor etwa zweitausend Jahren an und für ganz andere Menschen geschrieben.
Paulus, ein anderer eifriger Schreiber, hat seine Briefe sehr zielgerichtet verfasst. Das lesen wir heute noch im Namen dieser Schriften. Die Korintherbriefe waren für die Gemeinde in Korinth gedacht, der Römerbrief sollte nach Rom und so weiter.
Bei den Petrusbriefen sind die Empfänger nicht so stark eingegrenzt. Sie gehören zu den sogenannten katholische Briefen. Das hat in erster Linier nichts mit der Katholischen Kirche zu tun, sondern meint, dass die Briefe allgemein verfasst wurden. Für die Allgemeinheit der Christen der Kirche Jesu in der damals bekannten Welt. Und so tätigt der 1. Petrusbrief sehr allgemein viele Aussagen darüber, wie wir uns als Christen in der Welt verhalten sollen.
Für unseren Predigttext wird es dann aber doch nochmal etwas spezifischer. Hier richtet sich der Verfasser insbesondere an christliche Sklaven. Das können wir in den Versen lesen, die dem Predigttext vorausgehen. Also widerum doch eine ziemlich enge und spezielle Zielgruppe an dieser Stelle.
Was heißt das für das Hier und Heute? Wo ist da die Relevanz für uns als Christen des 21. Jahrhunderts, die wir unsere Freiheit in diesem Land genießen dürfen?
Auf den ersten Blick kann es scheinen, als ginge uns dieser Text gar nichts an. Was haben wir mit der dort überlieferten Mahnung zu tun? Einer Mahnung, die sich explizit an die Sklaven innerhalb der ersten christlichen Gemeinden richtet.
Dankbarerweise ist die Sklaverei bei uns heute offiziell abgeschafft, gesetztlich verboten und wo es dazu kommt, kann konsequent dagegen vorgegangen werden. Wir können wirklich dankbar sein, dass wir dieses Privileg genießen dürfen. Es war ein langer Weg bis dorthin und manche Teile der Erde haben da auch noch ein ganzes Stück Weg vor sich.
Aber hier bei uns muss niemand mehr das Eigentum anderer Menschen sein. Wir sind davor geschützt, erworben oder verkauft, vermietet, verschenkt oder vererbt zu werden.
Und doch, so unterschiedlich unsere Situation heute auch ist. So frei wir auch sind und so weit weg wir auch davon entfernt sind, das Eigentum anderer zu sein: Ich glaube, in gewisser Weise sind wir doch immernoch Sklaven. Vielleicht nicht in erster Linie körperlich und vielleicht empfinden wir das auch gar nicht so direkt als Sklaverei.
Was ich meine lässt sich vielleicht in etwa folgendermaßen beschreiben:
Wir sind Sklaven dieser Welt. Sklaven des irdischen Daseins.
Wir werden in diese Welt hineingeboren.
Unmenge an Reizen, Möglichkeiten und Angeboten prasseln ein Leben lang auf uns ein.
Und so kann sich unsere Sklaverei auf ganz unterschiedliche Art und Weise und in ganz unterschiedlicher Intensität manifestieren und zeigen.
Ich will euch ein paar Beispiele nennen, wo ich das so empfinde und an denen ich das festmache:
Beispielsweise Internet und alles, was damit in Verbindung steht. Smartphones, soziale Netzwerke und so weiter.
Quasi das digitale Leben, wie man sagt. Alles tolle Sachen, Errungenschaften, die wertvollen Nutzen bieten und nicht mehr wegzudenken sind. Ich merke das gerade schmerzlich, denn bei uns daheim geht über das Wochenende das Internet nicht. Und ich stelle dabei fest: Wegzudenken ist das alles wirklich kaum noch für mich. Aber dabei wird mir auch deutlich, wie viel Zeit das eigentlich manchmal frisst. Und nicht selten ärgere ich mich dann auch, wie sehr ich mich wieder darin verloren habe.
Ein weiteres Beispiel: Die vielseitigen Möglichkeiten unserer Zeit.
Im Mai wird ein Examensthema für mich Jugendsoziologie sein. Dabei geht es darum, wie Jugendliche in der Gesellschaft aufwachsen und was das für sie bedeutet. Zur Berufswahl lässt sich da Folgendes beobachten: Früher erlernte man als Jugendlicher oft den Beruf des Vaters. Das war ein relativ überschaubarer Karriereweg. Im Gegensatz dazu stehen heute allein in Deutschland 17.000 Studiengänge zur Auswahl. Die Folge: Kaum jemand weiß, wie man da noch das Richtige für sich finden soll. Jugendliche sind mit der ständigen Pflicht zur Entscheidung überfordert. Für mich ist das mehr als nachvollziehbar.
Und noch ein Beispiel, eine sehr krasse Form: Süchte. Alkohol, Nikotin, stärkere Sachen und was es da nicht alles gibt.
Auch das können für uns Sklaventreiber sein. Vielleicht viel mehr noch als alles bisher Genannte. Ihr seht schon, das ist eine breit gefächerte Aufzählung. Diese Fülle von Angeboten, die uns die Welte bietet, kann gut für uns sein. Wir haben als Menschen unserer Zeit so viele Möglichkeiten wie noch nie, unseren Alltag zu gestalten.
Aber darin sehe ich auch eine Gefahr: Die Gefahr, dass all diese Angebote unsere „religiöse Antenne“ nenn ich es mal, blockieren und überlagern. Die Gefahr, dass wir bei all dem Irdischen nicht mehr den sehen, der über und hinter alledem steht: Jesus. Dann leidet schnell auch unsere Beziehung zu Gott. Und ja: Manche Dinge empfinden wir dabei als schwerwiegender als andere.
Was ich aber sagen will: Das alles ist Teil unserer Welt. Der Welt, deren Teil auch wir unausweichlich sind. Der Welt, der wir uns nicht entziehen können. Der Welt, der wir Sklave sind. Der Welt, die von Gott so anfangs nicht gedacht war.
Dieser Gedanke, dass das alles von Gott eigentlich anders vorgesehen war und vieles nicht so kompliziert sein müsste, der bedrückt mich häufig.
Doch glücklicherweise ist das nicht der Weißheit letzter Schluss. In die Sklaverei der irdischen Welt hinein ist Jesus getreten. Und genau das und die Bedeutung dessen, will uns der Bibeltext aus 1. Petrus 2 deutlich machen.
So können die Verhaltensregeln für die Sklaven der Antike auch uns ein Anhaltspunkt dafür sein, wie wir schon in dieser Welt mit Jesus als Vorbild, so wie es der Text sagt, befreiter leben können. Er bietet uns einen Kontrast zu dem, was die Welt von uns verlangt. Eine Alternative für Zwänge und Sklaverei. Dabei nimmt der Text 3 Schwerpunkt in den Fokus:
Der erste Schwerpunkt: Der Text sagt etwas darüber, was Jesus zu Lebzeiten nicht getan hat:
Ich lese uns dazu nochmal die entsprechenden Verse aus 1. Petrus:
22 er, der keine Sünde getan hat und in dessen Mund sich kein Betrug fand;
23 der nicht widerschmähte, als er geschmäht wurde; nicht drohte, als er litt
Im Wesentlichen liefert uns Petrus hier 4 Dinge:
- Jesus hat keine Sünde getan.
- Jesus hat nicht betrogen.
- Jesus hat nicht verschmäht.
- Jesus hat nicht gedroht.
Jesus wird hier erstmal darüber definiert, was er NICHT getan hat. Ich finde, das ist ein wirklich starker Gegensatz zu dem, was wir eigentlich gewohnt sind. In unserer Gesellschaft läuft es nähmlich genau andersherum. Wir definieren uns doch gerade darüber, was wir GETAN haben. Der Lebenslauf soll möglichst vollgepackt sein mit Erfahrungen, Qualifikationen und Zeugnissen. Karriere, Arbeit, Schule, Uni, alles beruht auf Leistung, auf etwas, was wir tun. Die Wirtschaft bemisst sich danach, dass möglichst immer mehr getan wird. Und auch wenn wir einen Menschen kennenlernen wollen, fragen wir ja: „Was machst du so?“ und nicht, „Was lässt du bleiben?“
Indem der Briefschreiber hier formuliert, was Jesus nicht getan hat, wird es möglich, ihm als Vorbild nachzustreben. Denn das was Jesus wiederum getan hat, Wunderheilungen, dem Teufel und jeglicher Versuchung widerstanden, den Tod besiegt, das funktioniert für uns nicht einfach so. Das ist das Göttliche im Menschen Jesu. Wie sollten wir ihm darin nacheifern können? Doch der Schreiber zeigt uns an dieser Stelle die menschliche Seite Jesu und versucht damit klar zu machen: Jesus ist anders! Er ist Mensch, aber dennoch anders.
Er wollte nicht mehr, mehr, mehr, sondern er ist zurückgetreten. Für uns. Und wir, die wir ihm nachfolgen, sollen es ihm ein Stück weit gleich tun. Das ist freilich kein Freibrief zum Füße Hochlegen. Sondern es heißt Jesus als Vorbild nehmen und in seiner Nachfolge als Kontrast in einer getriebenen Welt agieren, indem wir auch zurücktreten, indem wir Demut üben.
Der zweite Schwerpunkt: Der Text sagt etwas darüber, was Jesus getan hat: Besser: Was er für UNS getan hat. Auch hierzu nochmal die Passage aus 1. Petrus:
er stellte es aber dem anheim, der gerecht richtet;
24 der unsre Sünde selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, damit wir, der Sünde gestorben, der Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr heil geworden.
Auch hier können wir aus dem Text wieder 4 Punkte entnehmen.
- Jesus hat sich für uns vor den Richter gestellt.
- Jesus hat unsere Sünden getragen.
- Jesus hat uns gerecht gemacht.
- Jesus hat uns heil gemacht.
Ich habe nicht nachgezählt, aber vom Gefühl her würde ich sagen, diese Dinge, die Jesus für uns getan hat, werden öfter in der Bibel aufgezählt, als das was er nicht gemacht hat. Denn gerade darin liegt ja die Essenz unseres Glaubens. Das ist die Frohe Botschaft, das Evangelium, die gute Nachricht. Jesus hat etwas für uns getan. Er hat uns aus unserer ausweglosen menschlichen Lage herausgeholt. Und hierbei weist der Petrusbrief dann über die irdische Perspektive hinaus:
Einerseits sind das alle ganz und gar selbstlose Taten, die hier beschrieben werden. Jesus hat gegeben. Er hat das, was er getan hat, für andere Menschen, für jeden von uns getan. Auch das ist wieder ein klarer Kontrast zu unserer Welt. Wenn man sich nicht selbst der Nächste ist, zieht man oft genug den Kürzeren…
Und andererseits sind das nicht nur alles selbstlose Taten. Sondern es sind auch Taten, die nicht in unserer menschlichen Macht liegen. Das was Jesus tat, können wir unmöglich schaffen. Jesus ist für uns eingetreten und hat unsere Sünden auf sich genommen. Damit hat er für uns die Brücke geschlagen zum Vater. Das, was uns von Gott fern hält, die Sünde, ist überwunden. Jesus hat uns gerechtfertigt, er hat uns frei gemacht. Jesus hat uns heil gemacht, er wirkt in uns, macht uns zu neuen Menschen. Und auch hier gilt: Auch das ist kein Freibrief zum Füße hochlegen. Jesus hat viel für uns getan. Aber es gilt für uns, dies auch anzunehmen und danach zu leben.
Schon zu unserer Lebzeit über das Irdische hinaus und auf die Ewigkeit bei Gott hinzuweisen. Dies geschieht in der bekennenden, aktiven und lebendigen Nachfolge Jesu.
Und der dritte Schwerpunkt: Der Text sagt auch etwas darüber, was daraus für uns folgt. Petrus schreibt:
25 Denn ihr wart wie die irrenden Schafe; aber ihr seid nun bekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.
Nicht mehr irrende Schafe sind wir also, sondern wir sind bekehrt zu Jesus, unserem Hirten und Bischof unserer Seelen. Hier schließt sich der Kreis zum Thema dieses heutigen sogenannten Hirtensonntages. Diese Sklaverei der Welt, in der wir Leben, sie belastet uns. Diese Sklaverei ist es, die uns zu den irrenden Schafen machen.
Die Unmengen an Reizen, Möglichkeiten und Angeboten überfordern uns.Die ständige Notwendigkeit und Pflicht zur Entscheidung kann mehr verwirren, als dass wir darin eine Freiheit erkennen können. Wie die Schafe, die ohne den Hirten den Weg nicht wissen, irren wir dann durch unser Leben.
Versuchungen und Süchte bedrohen uns.
Die ständige Verantwortung zu balancieren zwischen Genuss und Missbrauch kann uns jeden Tag erneut vor Herausforderungen stellen. Wie Schafe, deren Herde ohne den Schutz des Hirten zum Ziel von Raubtieren wird, so können die Versuchungen in unser Leben einbrechen und es buchstäblich zerfleischen.
Weltliche Dinge können unsere Beziehung zu Gott belasten.
Manchmal ist es wahrlich eine Kunst, bei all den Angeboten und Verpflichtungen, die uns gegeben sind, noch den Kontakt zu Gott zu halten und zu pflegen. Manchmal scheint das alles so viel und so dicht zu sein, dass wir Gott im Alltag kaum noch erkennen können. Wie den Schafen, denen der Orientierungspunkt fehlt, wenn der Hirte nicht anwesend ist, so wird auch uns der Fixpunkt im Leben fehlen, wenn wir den Vater aus den Augen verlieren, der uns alles geschenkt hat.
Liebe Schwestern, liebe Brüder, das alles ist Teil unserer Welt, aber es ist eben nur EIN Teil und nicht alles. Mit Jesus und dem, was er für uns getan hat, ist ein Hirte in unserer Welt getreten. Er schenkt uns die Aussicht auf das Ewige Leben und macht deutlich:
Es gibt mehr als diese Welt!
Uns bleibt eine Zeit auf dieser Erde. Die gehört dazu. Nur weil wir uns zu Jesus bekehren, „entkommen“ wir ihr nicht. So wie in der Antike auch die leiblichen Sklaven nicht plötzlich frei wurden, nur weil sie Christen waren. Doch wir dürfen eine neue Perspektive gewinnen:
In den Augen der Welt mögen wir immernoch Sklaven sein.
Aber in den Augen Gottes sind wir schon frei.
Und dann wird aus uns irrenden Schafen ohne Führung eine geordnete Herde mit einem uns beschützenden Hirten. Ein Hirte, der bei den Entscheidungen unseres Lebens helfen und richtungsweisend sein kann. Ein Hirte, bei dem wir in den Gefahrensituationen unseres Lebens Zuflucht finden können. Ein Hirte, der uns eine Beziehung zum Vater ermöglicht.
Dieser Hirte ist Jesus Christus.
Der Bischof unserer Seelen. Er führt uns, seine Herde, in die Ewigkeit und macht uns frei. Er wird die Fesseln dieser Welt einst sprengen und die Sklaverei endgültig beenden, wenn wir ihm in Demut, bekennend, aktiv und lebendig nachfolgen.
Amen.