Bischof Harald Rückert an die Gemeinden der EmK für Sonntag, den 22. März 2020 anlässlich der gottesdienstlosen Zeit während der Corona-Krise
Liebe Schwestern und Brüder,
»Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.«So lesen wir im 2. Timotheusbrief (Kp. 1,7)
Ein Wort, das wirkt
Immer wieder kam mir dieses Bibelwort in den zurückliegenden Tagen in den Sinn. In ganz unterschiedli-chen Situationen wurde es plötzlich lebendig: wenn es galt, schwierige Entscheidungen für uns als Kirche zu treffen; wenn es galt, geduldig zuzuhören und zu ermutigen, oder wenn es galt, völlig klar, rasch und eindeutig zu agieren. »Nicht Furcht, sondern Kraft, Liebe und Besonnenheit.« Aber auch im privaten Bereich ist mir dieses Bibelwort ein wertvoller Zuspruch: wenn es gilt, innerhalb der Familie das rechte Maß von Nähe und Abstand zu finden, besonders gegenüber den Enkelkindern und den hochbetagten Eltern; wenn es gilt, sich in einem Alltag neu zurechtzufinden, der viel von seiner vertrauten Alltäglichkeit verloren hat; wenn es gilt, sich die eigene Verunsicherung zuzugestehen. »Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.« Immer wieder spricht dieses Bibelwort mitten hinein in mein Leben.
Wie die Gesellschaft handeln kann
Wie wir uns zu verhalten haben, ist in den Medien hinreichend erklärt: Hygienemaßnahmen, unbedingtes Abstandhalten, konsequente Reduzierung von physischen Kontakten und anderes. Unsere Bundeskanzle-rin hat dieser Tage – in ihrer Rede am 18. März1 – ausführlich erklärt, worauf es derzeit ankommt und warum dies so ist. Es geht nicht um nackte Zahlen und Statistiken, sondern um Menschen: Mütter, Väter, Kinder, Freunde. Deswegen hat sie eindringlich an uns alle appelliert: »Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst! (…) seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt.«Bei allen einschneidenden Maßnahmen in unser gesellschaftliches Leben, in hart errungene demokratische Freiheiten und Rechte sowie das kirchliche Leben, geht es um Verantwortung. Es geht um Solidarität und Fürsorge gegenüber den am meisten Gefährdeten, den alten und den gesundheitlich angeschlagenen Menschen. Die Ausbreitung des Virus muss deutlich verlangsamt werden, damit unser Gesundheitssystem funktionsfähig bleibt und denen, die intensive Hilfe und Behandlung brauchen, auch in Zukunft zur Verfügung steht. Liebe Schwestern und Brüder, es ist ernst. Nehmt dies alles auch wirklich ernst!
Wie wir als Christen handeln können
»Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.«Uns, die wir zu Christus gehören, ist der Heilige Geist in unsere Herzen ausgegossen. Dieser Geist erfüllt, bewegt und prägt unser Leben. Daneben gibt es aber viele UnGeister: Panik, Eigensucht, Rücksichtslosigkeit, Fatalismus, Rechthaberei und Ignoranz. Bitte helft mit, diesen Un-Geistern die Tür zu weisen. Sie dürfen keinen Raum in unserm Leben und unserer Gesellschaft haben. Erinnert euch: Gott hat uns seinen Geist gegeben!
Doch dieses Bibelwort ist mehr als nur eine Erinnerung. Es ist Zuspruch und Befähigung für ein Leben in einer ungewissen und beängstigenden Zeit. Als Kirche sind wir mit unseren Gemeinden vor Herausforderungen gestellt, die wir uns bisher nicht ansatzweise haben vorstellen können. Gemeinschaft und persönliche Beziehungen sind in unseren Gemeinden wichtige Kennzeichen unseres Zeugnisses. Dies durch Händeschütteln oder eine Umarmung ausdrücken ist schon länger nicht mehr angeraten. Und nun können der-zeit nicht einmal mehr Gottesdienste und andere Gemeindeveranstaltungen stattfinden. Bedeutet das, dass das Leben unserer Gemeinden bis auf weiteres stillgelegt und komplett abgesagt ist? »Corona-Ferien« für die ganze EmK und nach der Krise – irgendwann – geht‘s dann wieder los mit Gemeinde – irgendwie?
Nein, liebe Schwestern und Brüder, das genaue Gegenteil ist der Fall! Es gilt unser gemeinschaftliches und geistliches Leben neu zu gestalten. Es muss derzeit »kontaktlos« geschehen, also weitestgehend ohne un-mittelbaren physischen Kontakt. Doch jetzt heißt es umso nachdrücklicher: Kontakte halten, knüpfen und vertiefen auf ganz andere Weise. Seelsorge, Zuhören und Zuspruch sind ersehnter denn je. Die Botschaft des Evangeliums, das Gebet und die Ausrichtung auf Gott sind nötiger denn je. Diakonisches Handeln, um-sichtige Fürsorge in unseren Gemeinden und in unserer Nachbarschaft sind gefragter denn je.
Behaltet die älteren Geschwister im Blick, die Kranken und Angeschlagenen. Behaltet diejenigen im Blick, die nicht wissen, wie sie Kinderbetreuung und Beruf auf die Reihe bekommen sollen. Behaltet diejenigen im Blick, die in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Arztpraxen und an der Supermarktkasse quasi an vorderster Front ihre Berufe zu unser aller Wohl ausüben. Gemeindeleben abgesagt? – Nein, auf keinen Fall!
Ich bin tief berührt, mit wieviel Leidenschaft in den letzten Tagen Gemeinden zusammen mit ihren Pastorinnen und Pastoren sofort mit unglaublicher Kreativität reagiert haben. Gemeindeleben findet statt! Im Internet ist eine mehrere Seiten lange Sammlung bereitgestellt. Die dort veröffentlichten Ideen wollen an-stecken mit Lust und Energie; sie sollen sich rasch verbreiten – zur Ehre Gottes und zu unserer aller Ermu-tigung! Unsere Evangelisch-methodistische Kirche lebt! Unsere Kirche vibriert mit begeisternden Ideen. Ich bin tief berührt und von Herzen dankbar dafür.
Was uns diese Zeit lehren kann
Neben der Herausforderung, in völlig neuer Weise das geistliche Leben unserer Gemeinden zu gestalten und sich dabei von Gottes Geist überraschen zu lassen, stellen sich Viele die Frage, was die derzeitige Krise uns lehren könnte. Ich kann dazu nur ein paar Gedanken anreißen. Sie müssen an anderer Stelle vertieft und im Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit weiterbedacht werden.
Wir spüren überdeutlich, dass wir unser eigenes Leben nicht in der Hand haben. Und wir haben auch über unsere Welt keine Kontrolle. Was bisher sicher schien, wird innerhalb weniger Tage völlig fragwürdig. Worauf ist Verlass? Worauf können wir trauen? Trägt unser Gottesglaube wirklich?
Ein anderer Gedanke: Als Kirche mussten wir innerhalb weniger Tage in unserer Arbeit komplett umsteuern. Sitzungen entfallen, Entscheidungsgremien finden neue Wege. Diese Erfahrungen werfen ein neues Licht auf die Fragen, die wir ohnehin bereits bewegen: Was brauchen wir wirklich als Kirche? Wozu sind wir da?
Und noch etwas: Bei aller Angespanntheit und wirklich anstrengenden Zeiten für Etliche, erlebe ich derzeit dennoch eine Entschleunigung unserer Gesellschaft. Wie nützen wir diese Gelegenheit? Was lässt sich daraus lernen für die Zeit nach der Corona-Krise? Wie kann es uns gelingen, in dieser entschleunigten Zeit das Hören auf Gott neu einzuüben?
Wie wir beten können
Wir erleben derzeit eine ganz besondere Situation. Doch vergesst nicht: Gott hat uns seinen Geist gegeben, der uns erfüllt, bewegt und prägt. Ich bete darum, dass diese Erinnerung und dieser Zuspruch in unserem persönlichen Leben und in unserem Zeugnis als Kirche Kraft entfalten. Ich habe mir vorgenommen, dies an jedem Tag um 12 Uhr zu tun: Einen Moment innehalten, still werden, für einzelne Personen, für unsere Kirche und für unsere Gesellschaft beten. Es würde mich freuen, wenn viele von Euch – wo immer Ihr gerade seid – ebenfalls kurz zum Beten innehalten und wir uns gemeinsam in Gottes Gegenwart stellen.
Liebe Schwestern und Brüder, »Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.« Gott segne Euch!
Bischof Harald Rückert
Evangelisch-methodistische Kirche
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